Walter Nigg
Nachdem Ziegler einige kleinere Publikationen veröffentlicht hatte, wurde sein Name mit einem Schlag in weiten Kreisen durch das Werk „Gestaltwandel der Götter“ bekannt. Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg gehörte es neben Spenglers „Untergang des Abendlandes“ und Keyserlings „Reisetagebuch eines Philosophen“ zu den meistdiskutierten Büchern und versetzte viele Menschen in helle Begeisterung. . . . Die religiöse Bewußtseinsveränderung wurde darin durch die gesamte europäische Kulturgeschichte hindurch von einem leidenschaftlich der Wahrheit verpflichteten Menschen verfolgt und in einem künstlerischen Aufriß dargestellt. Bei aller Schärfe des Denkens verriet die Form des Buches einen dichterisch veranlagten Philosophen, der den Gedanken der Weltheiligung hinreißend entfaltete. Am stärksten von sich reden machte die Betrachtung über die „Mysterien der Gottlosen“. Sie war aus dem Willen entstanden, der groben Unaufrichtigkeit, Feigheit und Selbstgerechtigkeit entgegenzutreten, mit denen man den religiösen Problemen auszuweichen pflegte. Wenn auch Zieglers paradoxe Konzeption einer Religion ohne Gott unhaltbar ist, so künden sich doch bereits im „Gestaltwandel“ die tieferen religiösen Untertöne an. Wer das mit umgekehrten Vorzeichen versehene Buch aufmerksam liest, wird nicht mehr von einem atheistischen Buch reden, denn allzu stark glüht eine verkappte Gläubigkeit darin.
Neue Zürcher Zeitung, 2.12.1958.