Timo Kölling: "Existenzen also wie Metalle". Reinhold Schneider und Leopold Ziegler

I.

50 Jahre nach ihrem Tod gehören der Dichter Reinhold Schneider (1903-1958) und der Philosoph Leopold Ziegler (1881-1958) zu den vergessenen Autoren. Zu Lebzeiten waren sie zumindest zeitweise erfolgreich, ja berühmt; heute umgibt ihre Namen die Aura des Nicht-mehr-gelesen-werdens, ja des Nicht-mehr-in-Frage-kommens. Für Ziegler gilt das noch mehr als für Schneider. Dessen 50. Todestag am 6. April 2008 bot vor allem katholischen Kreisen den Anlaß, sich – einer alten Forderung Walter Niggs entsprechend – auf einen der großen Laientheologen des 20. Jahrhunderts zu besinnen. Zu einer Wiederentdeckung seines Werkes hat das freilich nicht geführt. Schneider hat eher durch seinen Mut und durch die Größe seines persönlichen Zeugnisses gewirkt hat als durch den Inhalt seiner Prosawerke und Dramen.

Um den mit Schneider eng befreundeten, 22 Jahre älteren und ebenfalls 1958 gestorbenen Leopold Ziegler aber steht es noch schlechter. Das Schweigen, das seinen 50. Todestag am 25. November 2008 umgeben hat, findet schwerlich seinesgleichen. Das mag zum einen damit zusammenhängen, daß Zieglers Werk bislang weder von philosophischer, noch von theologischer Seite her angemessen gewürdigt worden ist. Ein anderer Grund ist aber sicherlich, daß zwischen dem Gehalt eines so komplexen Gesamtwerks und dem heute mehr denn je vorherrschenden Bedürfnis nach der einfach verwertbaren Phrase ein kaum zu überbrückender Abgrund klafft. Schon zu Lebzeiten Zieglers hat diese Schwierigkeit eine tiefer dringende Rezeption seines Werks verhindert; doch beeinträchtigte dies keineswegs des Philosophen Gewißheit, daß seine Zeit über kurz oder lang „noch kommt“.

Die in den letzten Jahrzehnten abseits der breiten Öffentlichkeit freilich immer wieder unternommenen Versuche, diese Gewißheit sich bewahrheiten zu lassen und auf die andauernd große Aktualität von Zieglers Werk hinzuweisen, finden nun ihre Fortsetzung in dem neuen, von Paulus Wall herausgegebenen Aufsatzband „Mythos – Logos – integrale Tradition“ (2009). Die in dem Band enthaltenen alten und neuen Beiträge zu Zieglers Leben und Werk zeigen bislang unsichtbare Linien auf, die von der Mitte des vorigen Jahrhunderts in unsere Gegenwart weisen. Immer deutlicher zeigt sich ja die Notwendigkeit, in der Beschäftigung mit der Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts die Höhe eines Denk-Ortes wiederzugewinnen, der unter dem Druck und in den Brüchen des historischen Verlaufs zwar nicht verloren gegangen, wohl aber ins Verborgene abgeglitten ist.

Als die umfangreichen Werke Schneiders und Zieglers in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts sich rundeten, waren zum einen die Kräfte der Reflexion und der Spekulation bereits am erlahmen, die allemal nötig sind, um solche Gesamtleistungen zu würdigen und zu durchdringen. Zum anderen konnten der Dichter und der Philosoph durchaus als Repräsentanten eines seichten und verlogenen „Geist“-Geredes mißverstanden werden, wie es in den Jahren des Wirtschaftswunders unter westdeutschen Konservativen besonders populär gewesen ist. Als dann dazu angesetzt hätte werden können, die Leistungen Schneiders und Zieglers als ganze in den Blick zu nehmen und für die Erkenntnis fruchtbar zu machen – das steht bekanntlich in den seltensten Fällen im Vermögen eines einzelnen, sondern bedarf stets einer breiteren Rezeption mit all ihren Verflachungen und Irrtümern , ereignete sich um 1960 der oftmals beschriebene Generations und Paradigmenwechsel, zu dessen negativen Folgen nicht zuletzt die verhängnisvolle Verbrüderung von Positivismus und Irrationalismus gehört, die den Diskurs der sogenannten Geisteswissenschaften bis heute lähmt. Nichts aber wäre irriger als die Annahme, dieser Bruch lasse sich durch einen sinn- und richtungslosen Konservativismus der „Werte“ überwinden, wie er längst wieder in Mode gekommen ist. Der bornierte Glaube des Konservativen, der impressionistische, vergegenständlichende Rück- und Zugriff auf das sei es Vergangene, sei es zeitlos Gültige sei auch schon dessen Wiedererweckung, gehört gerade jener fatalen Einheit von Positivismus und Irrationalismus zu, die es auszuschalten gilt, ja treibt den Bruch, den sie markiert, allererst auf die Spitze.

Demgegenüber wäre einzusehen – was hier allerdings nur angedeutet werden kann -, daß die Wandlungen und Brüche des vorigen Jahrhunderts insgesamt uns vor eine Grundentscheidung stellen, vor die sich bereits Reinhold Schneider und Leopold Ziegler gestellt sahen. Dieser Grundentscheidung auszuweichen – und auch der neue „Konservativismus“ ist ein solches Ausweichen – kann immer nur ein peremptorischer Akt sein, und es kann vielleicht gesagt werden, daß in diesem Sinne das 20. Jahrhundert das Jahrhundert schlechthin der Vorläufigkeit gewesen ist, das Jahrhundert der fundamentalen Unentschiedenheit dem einen gegenüber, was in unserer spezifischen und einmaligen geschichtlichen Situation not tut. Diese Grundentscheidung, mit der wir im folgenden uns beschäftigen wollen, sofern sie das Leitthema des 1935 einsetzenden Briefwechsels von Reinhold Schneider und Leopold Ziegler gewesen ist, liegt quer zu den herkömmlichen Gegensätzen wie „links“ und „rechts“, „progressiv“ und „konservativ“, von denen wir längst wissen, daß sie zur Erkenntnis des 20. Jahrhunderts und seiner historischen Substanz nur wenig beitragen. Und sie enthält den Kern, der unsere Gegenwart unmittelbar an die Gegenwart Schneiders und Zieglers bindet, und der, gänzlich freigelegt, imstande wäre, die vergessenen Werke des Dichters und des Philosophen als ganze in das Jetzt der Erkennbarkeit zu rücken.

Wer waren Reinhold Schneider und Leopold Ziegler?

II.

Schneider wird am 13. Mai 1903 in Baden-Baden als Sohn eines evangelischen Vaters und einer katholischen Mutter geboren. Die Familie besitzt ein Hotel, in dem einst Kaiser Wilhelm I. seine Ferienwochen verbrachte und noch in den Jahren von Schneiders Kindheit der europäische Hochadel zu Gast ist. Nach dem Weltkrieg verliert der Vater sein gesamtes Vermögen und erschießt sich. Kurze Zeit später unternimmt auch der zeitlebens von Schwermut und Depression heimgesuchte Reinhold einen Selbstmordversuch. Er lebt zu dieser Zeit, 1922, bereits in Dresden, wo er nach einem gescheiterten Versuch, mit landwirtschaftlicher Arbeit sein Geld zu verdienen, einen kaufmännischen Beruf erlernt. Einen Beruf zu ergreifen, der seinen literarischen Neigungen entspricht – bereits als Schüler verfaßt Schneider Gedichte, begeistert er sich für die Dramen von Hebbel und Kleist -, fehlt ihm das Selbstvertrauen. Schneiders Leben wird gerettet von seiner Zimmerwirtin, der damals 41 Jahre alten Anna Maria Baumgarten, die ihm auch später in allen Krisen seines Lebens als treue Freundin und Begleiterin beisteht.

Schwäche und Stärke sind in Schneiders Leben eng miteinander verknüpft: da er unter nichts so sehr leidet wie unter sich selbst und seiner melancholischen Natur, können ihm die oftmals schwierigen Umstände, unter denen er zu leben und zu arbeiten hat, später im Innersten nichts mehr anhaben. Sein Unglück – ein oft wiederkehrender Zug, wie wir ihm etwa auch im Leben Simone Weils begegnen – setzt die Kraft frei, nach anfänglichem Zögern radikal nichts anderem als seiner Berufung zu folgen. Am 20. Januar 1931 verfaßt Schneider für sein Tagebuch ein „Selbstportrait“, in dem es heißt: „Die Dynamik der meisten Menschen beruht auf der Gegensätzlichkeit ihrer Natur; in mir aber fallen sich die Widersprüche mit dem Grimm wilder Tiere an. Der grundlegende Konflikt, in dem zugleich die letzte Traurigkeit ihre Wurzeln hat, ist der zwischen dem Trieb zur ewigen Veränderung und dem Trieb zur Form und Gestaltung.“ Schneider führt diese Anlage auf den „Gegensatz zwischen zwei Temperamenten“ zurück: „dem schweren meines Vaters und dem raschen meiner Mutter“.

Noch bis 1928 bleibt Schneider in Dresden. Dann entschließt er sich – nahezu völlig mittellos – zu einer Existenz als freier Schriftsteller und reist nach Portugal, wo er sein erstes Buch schreibt: eine nicht in wissenschaftlicher, sondern in einfühlend-poetischer Prosa verfaßte Studie über den portugiesischen Nationaldichter Louis de Camões. Geprägt haben ihn zu diesem Zeitpunkt Nietzsche, Kant und Kierkegaard, Shakespeare, Gerhart Hauptmann und Wilhelm von Scholz, vor allem aber zwei Denker, deren Gedankenwelt er sich völlig zueigen macht: Schopenhauer und Unamuno. Schopenhauer verschafft ihm, wie er am 11. April 1928 an seinen Freund Friedrich Singer schreibt, einen „Begriff von den eigentlichen Problemen unseres Daseins“; über Unamuno heißt es später in Schneiders Autobiographie „Verhüllter Tag“: „… er hob mich aus meinem Leben heraus wie einen Feldstein, der nie mehr in seine Lage gebracht werden kann. Auf meinem Pulte im Kontor lag das Buch ‚Del Sentimiento tràgico de la vida en los hombres y en los pueblos‘. Ich griff danach, sobald die Glocke die Mittagspause anzeigte; es stärkte mich in den übrigen Stunden durch seine Gegenwart. Es war nicht die Philosophie, die mich überzeugte. Denn was war die arme irdische Unsterblichkeit, die der Baske verkündigte, das Fortleben in den Werken, im Gedächtnis der Menschen? Was mich aufwühlte, tröstete, bestätigte, gerade in meinem innersten Schmerz, war die Existenz als Todeskampf und der leidenschaftliche Streit mit der Zeit, die unentwegte Herausforderung.“

Zurück in Deutschland, stets rastlos, immer auf dem Sprung zu neuen Reisen, gleichzeitig auf der Suche nach einem Ort, an dem er, ohne sich zu binden, für längere Zeit in völliger Zurückgezogenheit arbeiten könnte, wendet er sich an Verlage, publiziert vermehrt auch Aufsätze in Zeitschriften, verfaßt Beiträge für den Rundfunk, trifft Künstler, Schriftsteller und Politiker. Sein „Camões“ erscheint 1930 im Verlag von Jakob Hegner, der das Buch zunächst ablehnt, dann aber doch publiziert. Der vollständige Titel lautet: „Das Leiden des Camões oder Untergang und Vollendung der portugiesischen Macht.“ In den Geschichtsdeutungen Schneiders, die jetzt in dichter Folge einem wahren Arbeitsrausch entspringen, geht es immer um dasselbe: das tragische Scheitern des religiösen, politischen oder künstlerischen Genius, des mit einer absoluten Forderung auftretenden Berufenen, in den Wirren der stets dem schlechten Kompromiß zuneigenden Geschichte. Als zweites Buch Schneiders erscheint 1931 „Philipp der Zweite oder Religion und Macht“, gefolgt von „Fichte. Der Weg zur Nation“ (1932), drei Erzählungen unter dem Titel „Das Erdbeben“ (1932) und „Die Hohenzollern. Tragik und Königtum“ (1933).

Ein weiteres, 1931 entstandenes Buch „Innozenz der Dritte“ bleibt hingegen unveröffentlicht, weil Jakob Hegner Einwände erhebt. Er schreibt am 3. Mai 1932 an Schneider: „Den Innozenz habe ich nun gelesen. Mein erster Eindruck davon ist der, daß Sie sich immer weiter vom realen Stoff entfernen und sich immer lieber in spekulativen Gründen ergehen. Es ist eigentlich das Gegenteil von dem, was wir wollten: daß Ihre Ideen sinnliche Gestalt gewinnen. Statt dessen verflüchtet sich die ganze sinnliche Welt bei Ihnen immer mehr in Gedankengebilde, die, nach der ersten flüchtigen Durchsicht, immer weniger nachprüfbar sind und sich nächstens nur noch an einer etwas sehr verzweifelten Anschauung vom Nationalen zu messen scheinen.“ Diese Äußerung trifft zweifelsohne eine reale „Gefahr“ Schneiders – und verkennt doch zugleich, daß historische Erkenntnis sich für ihn ohnehin niemals aus der realistischen Abschilderung von Geschehenem, sondern stets aus der spekulativen Rekonstruktion der in das Geschehen eingehenden Intentionen ergibt, welche Rekonstruktion zudem nicht zu trennen ist von der im Spiegel der Geschichte sich begreifenden und entwerfenden Existenz des Interpreten.

Schon während der Arbeit am „Camões“ schreibt Schneider an Friedrich Singer: „Der Schriftsteller ist kein Geschichtsschreiber und muß nicht Jahre lang Quellenstudien machen. Der Schriftsteller muß allein die Fähigkeit haben, eine vergangene Zeit von innen zu erfassen und dies hängt nicht vom Umfang der Studien ab.“ (Brief vom 30. November 1929) Unter dem Datum des 27. Mai 1930, zu der Zeit der Arbeit am „Philipp“, heißt es in Schneiders Tagebuch: „Ich schreibe die Geschichte von innen, eben das, was die Geschichte macht. Die allen sichtbaren Vorgänge, die der inneren Entscheidung folgen, also gerade das, was man Geschichte nennt, interessiert mich nur als Ausdruck.“ Eben deshalb verwahrt er sich dagegen, als „Geschichtsforscher“ bezeichnet zu werden. Unglücklicherweise verwendet Hegner gerade diesen Begriff, um Schneiders Bücher zu bewerben. Am 11. November 1931 schreibt Schneider an den Verlag: „Daß Sie mich im Publikum und im Buchhandel nicht unvorteilhafter einführen konnten, als durch den Titel eines ‚Badensischen Geschichtsforschers‘, und diese Bezeichnung noch überdies dem Sinn meines Buches und den im Nachwort aufgestellten Grundsätzen wortwörtlich widerspricht, so daß das Buch nun allerorten den widerwärtigsten Mißverständnissen begegnen muß: das dürfte ebenfalls keinem Zweifel unterliegen. ‚Badensisch‘ ist leider noch nicht einmal deutsch: es müßte schon badisch heißen.“

Das posthum veröffentlichte „Tagebuch 1930 – 1935“ ist eine Quelle von unschätzbarem Wert für die Entwicklung des jungen Reinhold Schneider. Die darin enthaltenen Reflexionen zur Geschichte und ihren Gestalten sowie zum eigenen problematischen Ort in der als feindlich empfundenen Gegenwart sind von ungeheurer Dichte und von einer dem jungen Autor ganz eigentümlichen Unerbittlichkeit. Am 22. September 1930 formuliert Schneider in einem langen Eintrag, der sich vor allem mit Nietzsche beschäftigt, seine „These (…), daß der Glaube an etwas Künftiges, außer der Erfahrung Liegendes unentbehrlich für das Leben auf der Erde ist, daß das Jenseits schon im Diesseits seine volle Rechtfertigung erfährt. Es ist nicht lebensfeindlich, sondern lebensstützend, schließt jedoch, den tragischen Grundgesetzen des Daseins gemäß, stets die Gefahr einer Erkrankung ein. Solche Erkrankungen an einem Mittel, das ursprünglich lebenserhaltend und sogar antreibend wirkte, erfolgten in den Epochen, die ich bisher zu behandeln suchte: in der Zeit des Camões und in der Zeit Philipp[s] II.“

Es ist ganz offensichtlich, daß Schneider hier noch nicht der christliche, der katholische Schriftsteller ist, als der er später erfolgreich werden sollte. Aber die lebensphilosophischen, existentialistischen, dezisionistischen Tendenzen, die er mit anderen Denkern seiner Zeit teilt, stoßen bereits hier an eine Grenze, die sich in Schneiders Denken und Erleben fortan immer entschiedener auswirkt, und die seinen Schriften von Anfang an jene besondere geschichtsphilosophische Signatur verleiht, die Leopold Ziegler an ihnen entdecken und rühmen wird. Das Leben selbst, die Geschichte selbst, die inhaltsleere „Entschiedenheit“ des sich in totaler Weise selbst ergreifenden und entwerfenden Daseins können nicht Maßstab des Lebens, der Geschichte, des Daseins sein, weil sie das Absolute, das sie zu sein behaupten, niemals aus sich selber zu produzieren vermögen. Die immanentistischen Formen des modernen Denkens zerschellen an jenem Transzendenten, das sie aufzulösen trachten, indem sie das Leben, die Geschichte und die durch Abstraktion gewonnene Idee einer allgemeinen „Kultur“ absolut setzen.

Nun schreibt Schneider in demselben Tagebucheintrag aber auch: „Den Skeptizismus, ehrlicher den ‚Nihilismus‘ kann ich nicht in mir überwinden; es kommt mir durchaus nicht darauf an, nachzuweisen, daß jene Taten“ – Schneider meint die im Zeichen des Glaubens und des Jenseits vollbrachten Taten der Helden seiner Geschichtsdeutungen – „dem ‚reinen‘ Christentum zu verdanken sind; die positive Wirkung eines noch zu seinem gefährlichen Extrem gesteigerten und übersteigerten Prinzips ist aber offenbar.“ Nicht auf das „Christliche“ als solches kommt es Schneider zu dieser Zeit also an, sondern auf die „extreme Existenz“, die er in Nietzsches Nihilismus so rein repräsentiert findet wie in Terese von Ávilas Mystik. Noch in Schneiders Spätwerk „Winter in Wien“ heißt es in diesem Sinne: „Zwei, drei Existenzen sind nichts in einem aus achtzig Millionen (oder dem Vielfachen) aufgebauten Volkskörper. Vielleicht aber können sie durch äußerste Intensivierung zu Wirkstoffen werden: zu jenen seltenen, kaum oder gar nicht bekannten personalen Leistungen, die in den Blutstrom eingehen, die innere Prozesse ermöglichen, beschleunigen, hemmen, ohne sich selbst zu verändern. Existenzen also wie Metalle. Ein einziger, der die Wahrhaftigkeit bis zum äußersten intensiviert, oder das Tragische an sich, die Kunst, den Glauben, die Liebe, kurz, extreme Existenzen tun not.“ Und doch konnte Schneiders eigene Weise, das Bild einer solchen „extremen Existenz“ zu erfüllen, nur die christliche sein, ja noch mehr läßt sich sagen: so sehr Schneider die christliche Konsequenz seiner Gedanken anfangs scheut, ist doch auch klar, daß seine gesamte Geschichtstheologie, die davon ausgeht, „daß das Jenseits schon im Diesseits seine volle Rechtfertigung erfährt“, nur als christliche Geschichtstheologie sinnvoll gedacht werden kann.

Schneider scheut vor dem Schritt eines eindeutigen Bekenntnisses zunächst zurück, indem er diese Fragen einzig als Fragen der künstlerischen Praxis zu ihrem Recht kommen läßt. Die spekulative Geschichtsdeutung der frühen Prosawerke genügt ihm nicht. Da er weder als Historiker noch als Geschichtsphilosoph gelten möchte, sondern als Künstler, ist sein Ziel das Drama. Am 23. Dezember 1932 notiert er: „Man kann auf zwei Arten leben: als Don Quijote, indem man der Umwelt, so fühlbar auch ihre Feindschaft ist, einfach keine Realität zugesteht: in diesem Falle spielt sich die Tragödie gleichsam wider Willen und mehr in den Zeugen und Zuschauern als im Helden ab. Oder man lebt und handelt aus dem tragischen Bewußtsein heraus: diese zweite Handlung ist noch nicht gestaltet. Die Darstellung des vollendet tragischen Menschen ist aber ohne Zweifel die nächste Aufgabe der Dichtung; sie ergibt sich mit Notwendigkeit in einer Zeit, die nicht viel mehr ist als das Intervall zwischen ungeheuren Kriegen.“ Den „bewußt tragischen Menschen“ habe auch Shakespeare nicht gestaltet. Schneider stellt fest, „daß Schiller das Problem ungelöst zurückließ, Kleist ihm nahe, Hebbel noch näher kam; daß Otto Ludwig den Auftrag in ganzer Schwere fühlte, aber die Form nicht fand, (so sicher er auch das Gefühl hatte: hier wartet das eigentliche Vermächtnis darauf, gehoben zu werden). Paul Ernst ist heute einer der Wenigen, die davon wissen.“ Schneiders Bestreben, aus der Geschichte des Dramas das Bewußtsein der eigenen künstlerischen Aufgabe zu gewinnen, läßt sich indes nicht trennen von einer allgemeinen geschichtsphilosophischen Reflexion: „Die Aufgabe muß in die Zukunft dringen, sie allein vermöchte dem Leben Europas noch einmal einen großen Gehalt zu geben: den tragisch-religiösen. Wenn wir daher noch irgend etwas hoffen können und erhoffen müssen, so ist es die Geburt der Tragödie.“ Doch der Weg zum Drama ist lang; erst nach dem zweiten Weltkrieg entstehen jene Stücke, die Schneider auf der Höhe seines Könnens zeigen: „Der große Verzicht“, „Innozenz und Franziskus“, „Die Tarnkappe“.

Zunächst setzt Schneider Anfang 1935 – erste Erfolge verzeichnend, aber noch immer in drückender Armut lebend – zu seinem umfangreichsten Prosawerk an. Es erscheint 1936 im Insel Verlag unter dem Titel „Das Inselreich. Gesetz und Größe der britischen Macht“. „Um mich zu zerstreuen“, erinnert sich Schneider später („Die ewige Krone“, 1954), „fuhr ich im Herbst (1934) auf wenige Tage nach England. In St. Paul überkam mich die unerwartete religiöse Mächtigkeit des Raumes. Nun stürzte die Geschichte Englands auf mich herein. Auf dem Wege nach Westminster entwarf ich ein Buch, das ‚Die Entscheidung Heinrichs VIII.‘ heißen sollte: die Lossage von Rom und der Aufgang des Empires sollten sein Thema sein. England war für mich das ‚Gegenreich‘. Und da ich die Geschichte des Reiches nicht erzählen konnte, so wollte ich, noch immer erst auf den Treppen des Heiligtums, die Geschichte des Gegenreiches gestalten.“ Anfang April 1935 kommt es zu einer Begegnung mit dem letzten deutschen Kaiser, Wilhelm II., der Schneiders Hohenzollern-Buch kennt und den Schriftsteller zu einem Gespräch nach Doorn einlädt. „Der Besuch, den ich morgen vorhabe“, schreibt Schneider an Anna Maria Baumgarten, „erscheint mir als das melancholischste Ereignis eines melancholischen Lebens. Überall zu spät, überall auf Gräbern und Trümmern und eingesargten Herzen.“

Noch einen anderen aufmerksamen Leser findet das Hohenzollern-Buch im Jahr 1935: den zu dieser Zeit noch weithin bekannten Leopold Ziegler, der sich gegenüber Jakob Hegner anerkennend über Schneider und sein Buch äußert. Hegner reicht das Lob an den Autor weiter, dem Ziegler durchaus ein Begriff ist, und der sich am 20. August 1935 mit einem kurzen Brief bedankt und seine „sehr große Freude“ darüber zum Ausdruck bringt, „von Ihnen anerkannt zu werden“. „Vor vielen Jahren“, schreibt Schneider, „lange bevor ich mit meiner Arbeit begann, hörte ich Sie einmal in der Dresdner Goethe-Gesellschaft über Technik sprechen; der Abend ist mir unvergeßlich geblieben, und ich denke sehr oft daran zurück; die außerordentliche Schönheit des Vortrags wie auch das Gesagte selbst sind mir sehr deutlich gegenwärtig. Ich wollte dies nur mitteilen, um anzudeuten, daß eine persönliche Wirkung besteht.“ Ziegler antwortet am 26. August: „Über Ihre gütigen Zeilen habe ich mich aufrichtig gefreut. Daß Sie sich meines dresdner Vortrages vor neun Jahren noch entsinnen, kommt mir fast vor wie ‚Memoiren aus einem Totenhause‘ – so fern liegt jene Zeit hinter mir und das, was mir damals noch wichtig erschien.“

Im folgenden Monat liest Ziegler als zweites von Schneiders Büchern den „Philipp“ und schreibt dem Autor unter dem Eindruck der Lektüre: „Ihre Gabe, sich mit den geschichtlichen Gestalten, aber jeweils auch mit den geschichtlichen Ereignissen, zu identifizieren, ist eine ganz seltene und fast einzigartige; sobald man Ihre Bücher auch nur begonnen hat, findet man sich so unwiderstehlich an einen Geschehensstrom angeschlossen, daß man mit fast schmerzhafter Intensität weiter lesen muß. Die Vorgänge und Personen werden gelegentlich ins Symbolische gesteigert, und dies etwa so zwingend, daß sich ein an sich ‚unbedeutendes‘ Ereignis in seiner unabsehbaren Sinnbildlichkeit für immer einprägt: wie die kleine Szene zu Beginn des Buches von dem abdankenden Kaiser, der sich beim Verlassen des Schauplatzes auf den jungen Oranien stützt. Im übrigen gibt gerade Ihr Buch über Philipp in einem erschütternden Ausmaße Kenntnis von dem Wandel der Situation in ihrer geistigen Allgemeingültigkeit, und Philipp, den Escorial, Spanien und spanische Katholizität auf solche Weise verstehen, heißt recht eigentlich ins Unbetretene einbrechen und wieder ‚eschatologische‘ Luft atmen wie einst. Hierüber werden vielleicht dann einmal sprechen dürfen. Für heute nur noch dies, daß nur ein Dichter von vielen Graden die imaginäre Konfrontation der Heiligen Teresa und des Don Quijote schreiben konnte, oder das ganze Buch in Calderons ‚Leben ein Traum‘ ausklingen lassen. Das alles sind überzeugende Elemente einer gleichsam ‚transzendierenden‘ Geschichtsschreibung, die Sie begründen und die heute wahrscheinlich die alleinig zeitgemäße ist.“

Einem verständnisvolleren Leser seiner Bücher dürfte der junge Dichter bis zu diesem Zeitpunkt nicht begegnet sein. Ziegler vermochte Schneiders Intentionen vor allem deshalb so genau zu erfassen – nicht eben einfach faßbare Intentionen, wie die zahlreichen Mißverständnisse zeigen, denen Schneiders Frühwerk begegnet ist -, weil es auch seine eigenen Intentionen einer negativen Geschichtsphilosophie gewesen sind, die mit derselben Radikalität wie Schneiders „transzendierende“ Geschichtsschreibung dem Verhältnis von Religion und Macht, transzendentem Sinn und irdischer Ordnung, metaphysischer Totalität und zeitlichem Geschehen auf der Spur war, einem Verhältnis, das von den im Bann des Historismus stehenden Geschichtsphilosophen bis hin zu Spengler niemals hinreichend reflektiert worden war.

III.

Auch Ziegler ist badischer Herkunft; er wird am 30. April 1881 in Karlsruhe geboren. Und wie Schneiders, so sind auch seine Eltern unterschiedlicher Konfession: der Vater katholisch, die Mutter evangelisch. Der Vater, ein Kaufmann, der ein Bilderrahmengeschäft betreibt, stirbt bereits 1893, in seinen frühen Vierzigern, an Tuberkulose. Von ihm hat Ziegler, wie er später vermutet, die „Abneigung gegen alles Militärische“ geerbt. Die ohnehin enge Bindung des sensiblen und verträumten Leopold an die Mutter Magdalena Ziegler (1856-1936), Tochter des Großherzoglichen Hofoffizianten Gregor Weiß, wird durch den Tod des Vaters noch weiter befestigt.

Ziegler, der von den Eltern wenig geistige Anregung und Förderung erhält, ist ein schlechter Schüler. Er wird vom humanistischen Gymnasium, wo der Lateinlehrer ihm bescheinigt, er „tauge wohl höchstens zum Kaufmann“, auf die Realschule verwiesen und muß dort ein Schuljahr wiederholen. „Damals kam mein Leben auf ein falsches Gleis“, erinnert er sich später, „und noch heute neide ich dem ‚absolvierten‘ Pennäler seine Humaniora, ich weiß nicht, ob mit oder ohne tiefere Gründe.“ Ziegler entdeckt in diesen Jahren auf eigene Faust jene geistige Welt, die Elternhaus und Schule ihm vorenthalten. Vor allem Wagners Oper und Schopenhauers Philosophie wecken seine Begeisterung. Seinen Mitschülern geht er aus dem Weg, schließt 1896 aber Freundschaft mit dem drei Jahre älteren Karl Hofer, dem Maler, einem sehr selbständigen und rebellischen Charakter. „Wir trafen des öfteren zusammen“, schreibt Hofer in seinen Lebenserinnerungen, „und schwelgten in künstlerischen Träumen und phantastischen Vorstellungen, die sich um das Theater, die Oper und um Dinge der Kunst im allgemeinen drehten.“ Auch Ziegler hat später gerne an diese Zeit zurückgedacht, besonders an die gemeinsam veranstalteten „schwärmerischen Musikabende“, zu denen desöfteren auch der junge Alfred Mombert erscheint. Hofers frühe, vom Symbolismus inspirierte Zeichnungen und Graphiken beeindrucken Ziegler. In dem autobiographischen Text „Mein Leben“ heißt es dazu: „Hier trat mir der Maler als schlechthin dämonisches Element entgegen, von einer unterbewußten Bildervorwelt, Bilderurwelt unheimlich verzaubert und behext: aus tiefsten Schichten, ältesten Schichten der Menschenseele aufsteigend, gibt sie beklemmende Kunde von einer Vergangenheit, die sonst nur noch in Träumen vom Spiegel des Bewußtseins aufgefangen wird.“ Es sind nicht zuletzt die Produktivität Hofers und die Entschiedenheit, mit welcher dieser einer Existenz als freier Künstler zustrebt, die in Ziegler den Wunsch befestigen, als Philosoph es dem Freund gleichzutun.

Während seines letzten Jahrs an der Oberrealschule erfährt Ziegler von einem Privatissimum, welches der Philosoph Arthur Drews an der Technischen Hochschule in Karlsruhe über die Erkenntnislehre Eduard von Hartmanns hält, und bittet, obwohl noch nicht Student, erfolgreich um Zulassung. Hier lernt er nun das „Unbewußte“ kennen, das es ihm erlaubt, im Zeichen jenes Archaischen zu philosophieren, das ihn an Hofers Bildern ebenso fasziniert wie an Wagners Oper. Ziegler wird zum glühenden Jünger Hartmanns, und Drews, der große Hoffnungen auf seinen jungen Schüler setzt, ist davon so begeistert, daß er ihn dazu ermuntert, das früher so gehaßte Latein nachzuholen und Philosophie zu studieren. Aber mehr noch: er schürt in Ziegler das Bewußtsein, „eine Mission im Leben zu erfüllen [zu] haben“, wie es in einem Brief vom 8. Februar 1903 heißt, und rät ihm zur Beschäftigung mit Fichte, Hegel und Schelling, Plotin, Meister Eckhart und Nietzsche – allesamt Philosophen, die von dem damals vorherrschenden professoralen Neukantianismus vernachlässigt werden und in überaus schlechtem Ruf stehen. Bereits 1902 und 1903 erscheinen als erste Bücher Zieglers „Zur Metaphysik des Tragischen“ und „Das Wesen der Kultur“, letzteres durch Vermittlung von Drews im Diederichs Verlag, wo 1905 auch eine umgearbeitete Fassung von Zieglers Dissertation unter dem Titel „Der abendländische Rationalismus und der Eros“ veröffentlicht wird. Der Plan, sich zu habilitieren, scheitert an der Ablehnung der philosophischen Fakultät in Freiburg, wo man Ziegler offensichtlich nicht ernst nimmt.

Es folgen Jahre einer tiefen Krise. Die nahezu völlige Wirkungslosigkeit seiner Bücher wird von Ziegler, wie er am 18. Januar 1906 an Hofer schreibt, als „Leichenbegräbnis bei lebendigem Leibe“ empfunden. Ein Jahr später heißt es angesichts der gescheiterten Habilitation in einem Brief an den Freund: „Wenns so weitergeht, hab ich alle Hoffnung, so ein verpfuschtes Dasein zu werden, wie man sagt.“ Doch schmerzlicher noch ist für ihn, daß er auch philosophisch, im Denken selbst, sich seiner Sache nicht mehr sicher ist. Er hat eine Zeit tiefer Orientierungslosigkeit zu überstehen. „Leider habe ich nämlich im vergangenen Winter erkennen müssen“, schreibt er am 12. April 1907 an Hofer, „daß meine bisherigen Bestrebungen auf einem vollkommen falschen Fundament aufgebaut waren. Wenn ich so weitergemacht hätte, wäre ich irgendwo im Bodenlosen geendet, es war gerade die höchste Zeit, daß ich einsah, wozu das führt. Und so mußte ich buchstäblich von vorn anfangen – ein Prozeß, in dem ich noch begriffen bin. Meiner so durchaus aufs Positive gerichteten Natur war dies höchst beschwerlich und ich habe derart eine schier unerträgliche Zeit hinter mir.“

Die wichtigste Stütze während dieser Zeit findet Ziegler in seiner Verlobten Johanna Keim, doch ist auch dieses Verhältnis überschattet von Problemen, denn Johannas Vater, der von Ziegler nicht viel hält, und Leopolds Mutter, die sich von ihrem Sohn nicht lösen kann, versuchen bis zuletzt, die Heirat der beiden zu verhindern – umso mehr, als Ziegler im Sommer 1907 schwer erkrankt und nach Meinung der Ärzte, die zunächst Muskelschwund diagnostizieren, nicht mehr lange zu leben hat. Doch die Heirat wird durchgesetzt, und wenig später stellt sich heraus, daß es sich bei der Krankheit nicht um Muskelschwund, sondern um eine Hüfttuberkulose handelt. Es ist dieselbe Krankheit, an welcher der Vater so früh gestorben war. Doch Ziegler erholt sich, wenn auch sehr langsam und mit dauerhaft geschädigtem Hüftgelenk. Von seinem früheren Leben fühlt er sich jetzt wie durch einen Abgrund getrennt. Die veröffentlichten Bücher erscheinen ihm als „drei elende Frühgeburten“, und noch viel später hat Ziegler über seine Dissertation gesagt, sie sei wohl ebenso schlecht wie ihr Titel. „Es ist mir oft“, heißt es in einem Brief vom 21. Dezember 1908 an Hofer, „als hätte diese schreckliche Krankheit kommen müssen, um mir die Augen aufzumachen über die krankhafte geistige Sphäre, in der ich früher gelebt habe. Ich werde allgemach frei von Übertriebenheiten und Überspannungen meines innern Lebens, von jenem unerträglichen Hochdruck eines viel zu entwickelten Ehrgeizes und phantastischer Ideen, die in Deutschland, wie es scheint, manchen aus der Bahn schleudern.“

Ziegler möchte jetzt vor allem eines: Zeit haben, um die Substanz seines Denkens sich klären zu lassen. Das ist ein Prozeß, der mehrere Jahre in Anspruch nimmt. Seine Frau Johanna unterstützt ihn dabei, indem sie für alle Belange des alltäglichen Lebens sorgt. Zunächst müssen die Idole seiner Jugend gestürzt werden; diesem Zweck dienen das schmale, 1910 veröffentlichte Buch „Das Weltbild Hartmanns. Eine Beurteilung“ und der in demselben Jahr in der Zeitschrift „Logos“ veröffentlichte Aufsatz „Wagner. Die Tyrannis des Gesamtkunstwerks“. Doch Zieglers Arbeit dieser Jahre erschöpft sich nicht in der Kritik. Es sind vor allem die weiterhin von seinem Freund Karl Hofer und bald auch von dem Bildhauer Karl Albiker angeregten kunstphilosophischen Reflexionen, die Ziegler dazu verhelfen, sich einen neuen philosophischen Standort zu erringen, von welchem vor allem das 1912 bei Meiner erschienene Buch „Florentinische Introduktion. Zu einer Philosophie der Architektur und der bildenden Künste“ Zeugnis ablegt. Dieses Buch enthält Ausführungen zum Begriff der künstlerischen Form, die in ihrer Klarheit und Schönheit noch heute lesenswert sind. Doch beschäftigt sich Ziegler mit der Kunst keineswegs allein um ihrer selbst willen; vielmehr geht es ihm darum, auf dem Weg der ästhetischen Erfahrung einen umfassenden philosophischen Begriff von Erfahrung überhaupt zu gewinnen. Es ist vor allem der Einfluß des Neukantianers Hermann Cohen, der sich hier geltend macht. Von hier führt ein gerader Weg zu „Gestaltwandel der Götter“, Zieglers groß angelegtem Traktat über den Wandel religiöser Erfahrung in der europäischen Geschichte.

Es sind entbehrungsreiche Jahre, in denen Ziegler an diesem seinem ersten Hauptwerk arbeitet. Die Niederschrift dauert von November 1916 bis August 1919. Noch vorher entstehen unter dem Eindruck des Kriegsausbruchs zwei schmalere Bücher, wegen denen Ziegler gelegentlich in den Umkreis der sogenannten „Konservativen Revolution“ gerückt wird: „Der deutsche Mensch“ und „Volk, Staat und Persönlichkeit“. Anfang der zwanziger Jahre erinnert sich Ziegler: „Der Völkerirrsinn ergriff in seinem ersten Anfall auch mich, mehr als es einem Philosophen ziemlich war; mit einem Gemisch von Verwunderung und Grauen denk´ ich an einige Tage zurück, wo ich der Suggestion der Masse erlag und selber Masse wurde.“ Bemerkenswert daran ist weniger, daß auch Ziegler kurzzeitig von jener epochalen Tendenz ergriffen worden ist, die so vielen Schriftstellern dauerhaft das klare Denken geraubt hat, sondern daß er zu einem so frühen Zeitpunkt bereits Distanz gewonnen hat und das Geschehene selbstkritisch reflektiert, statt es für eine zweifelhafte Ideologie nutzbar zu machen. Schon 1918 schreibt er an Walter Rathenau, mit dem er in diesen Jahren korrespondiert, daß „unser aller Irrtum heißt: das Volk.“ Und fern davon, dem radikalen Nationalismus zu erliegen, mit dem so viele Autoren der zwanziger Jahre die deutsche Niederlage zu kompensieren trachten, schreibt Ziegler 1925 anläßlich des Erscheinens seines zweites Hauptwerkes „Das heilige Reich der Deutschen“ in einer „Selbstanzeige“: „Der gegenwärtige Zustand der Deutschen flößt Besorgnis ein. Nicht eigentlich unserer Niederlage wegen, und sogar nicht einmal wegen der verheerenden Folgen, die eine Niederlage solchen Ausmaßes unabwendbar nach sich ziehen mußte. Sondern viel eher darum, weil wir noch immer mit jedem Tage, der uns von Versailles entfernt, die bare Unfähigkeit zu erkennen geben, diese Niederlage zu ertragen oder uns mit ihr abzufinden, geschweige denn, daß wir sie von innen her zu überwinden und auszuheilen lernten.“

Um der drohenden Nachkriegsnot zu entgehen, siedeln Leopold und Johanna Ziegler Ende 1918 in die Nähe von Lindau am Bodensee um. Sie erwerben dort, um sich selbst versorgen zu können, einen Bauernhof. Johanna ist unermüdlich auf dem Feld, mit den Tieren, auf dem Markt beschäftigt, während ihr Mann letzte Hand an den „Gestaltwandel der Götter“ legt. 1920 in erster und zweiter, 1922 in dritter Auflage erschienen, wird das Buch Zieglers erster größerer Erfolg. Den von Nietzsche diagnostizierten Nihilismus als ein in sich religiöses Phänomen zu deuten, welches keiner „Überwindung“ in dem Sinne einer Rückkehr zu christlich-theologischen Denkformen bedarf, ist das Grundanliegen, mit dem Ziegler viele Leser für sich einnimmt. Dieser Gedanke einer „Religion ohne Gott“, welche einzig imstande sei, den Kontakt des modernen Menschen zum verloren gegangenen „Heiligen“ wiederherzustellen, wird weitergeführt in dem 1922 veröffentlichten Buch „Der ewige Buddho. Ein Tempelschriftwerk in vier Unterweisungen“. Als Ziegler sich wenige Jahre später mit seinen Büchern „Magna Charta einer Schule“ (1928) und „Der europäische Geist“ (1929) zum Christentum bekennt, können ihm viele Leser nicht folgen und werfen ihm einen Bruch mit den früheren Intentionen vor. Ziegler indes hat rückblickend stets das Moment der Kontinuität in seiner Entwicklung betont. Nimmt man diese Selbstdeutung ernst, so wird man den Schlüssel zu dem kontroversen Übergang in den beiden Büchern „Das heilige Reich der Deutschen“ (dem zweiten Hauptwerk von 1925) und „Zwischen Mensch und Wirtschaft“ (1927) zu suchen haben. Letzteres enthält eine für Zieglers weitere Entwicklung überaus wichtige Auseinandersetzung mit dem Marxismus. Gegen dessen Geschichtsphilosophie ein spezifisch christliches Bild von der Geschichte zu formulieren, welches als einziges der weltlich-überweltlichen Natur und Würde des Menschen entspricht, ist geradezu das Hauptanliegen von Zieglers jetzt sich vorbereitender Spätphilosophie, welche ganz im Zeichen der Theorie vom „Allgemeinen Menschen“ steht, als deren Grundlegung Zieglers drittes Hauptwerk „Überlieferung“ (1936) gedacht ist.

Zu betonen ist, daß Zieglers Weg zum Christentum nicht gleichbedeutend ist mit einem Weg zur Kirche und zu einer konfessionell gebundenen Theologie. In „Magna Charta einer Schule“ stellt Ziegler fest, „daß wir nach einem Christentum oberhalb aller christlichen Bekenntnisse und Kirchen trachten müßten, dem abträglichen Machtkampfe kultischer Organisationen ein für allemal enthoben und entrückt“, und „daß dieses angestrebte Christentum jenseits der Konfessionen mit aufrichtiger Unbefangenheit hineinzustellen sei in den größeren Kreis universaler Religionen, deren Wettbewerb es so lange ausgesetzt bleibt, bis es eines Tages seine behauptete Überlegenheit durch den menschlichen Rang der von ihm erzogenen Völker und Rassen unwiderleglich erhärtet haben wird“. Den christlichen Kirchen ist nach Ansicht Zieglers aufgetragen, die nicht allein sämtliche Gebiete des Lebens, sondern auch sämtliche nicht-christliche Völkerüberlieferungen umspannende „Katholizität“ des christlichen Glaubens zu erweisen und zu realisieren. Ziel ist der bereits in „Gestaltwandel der Götter“ anvisierte Stand des Menschen in der „Heiligkeit“, die Rückverbindung zum noch ungebrochenen „heilen Sein“, dessen Träger als mythischer Erster und Allgemeiner Mensch sämtlichen vorchristlichen Überlieferungen bekannt gewesen sei. In der Gestalt Jesu Christi habe dieser mythische Allgemeine Mensch sich leiblich offenbart und der Geschichte ihre geheime Endabsicht, ihr Eschaton zugewiesen. „Nachfolge“ im christlichen Sinne heißt demnach, durch Rückverbindung an den heiligen und überzeitlichen Ursprung der Schöpfung im Allgemeinen Menschen den Stand des „Seins“ wiederherzustellen, wobei die Perspektive sich vom Heil des Einzelnen und der Gruppe, wie es im Mittelpunkt des vorchristlich-„heidnischen“ Verständnisses von Initiation stand, ins Menschheitliche und Universale weitet.

Dies alles ist für Ziegler bereits in den Worten von Augustinus enthalten, die er seinem Buch „Überlieferung“ voranstellt: „…denn die Sache selbst, welche jetzt christliche Religion genannt wird, war auch bei den Alten und mangelte vom Anbeginn des Menschengeschlechtes mit nichten, bis Christus im Fleische erschien; von da ab begann die wahre Religion, die eh und je gewesen, die christliche zu heißen.“ Doch beschränkt sich Ziegler keineswegs darauf, die Spuren Christi im Alten Testament, bei den Griechen und im Vorderen und Mittleren Osten zu suchen; seine Untersuchungen sprengen den von der katholischen wie der evangelischen Theologie, hier im besonderen der Religionsgeschichtlichen Schule, vorgegebenen Rahmen. Zieglers wahrhaft universaler Zugriff läßt ihn vielmehr auch die Überlieferungen der Germanen und der Kelten, der Inder und der Chinesen, der Indianer und der Afrikaner einbeziehen. Doch so eigenwüchsig Zieglers Spätwerk sich zeigt – sein Buch „Überlieferung“ und die auch für die nachfolgenden Werke so wichtige Idee des „Allgemeinen Menschen“ sind nicht denkbar ohne den Einfluß der sogenannten „integralen Tradition“ in Gestalt des Werkes von René Guénon (1886 – 1950). Von ihm, dem im deutschen Sprachraum noch immer zu wenig bekannten französischen Esoteriker und Religionsphilosophen, der 1912 in einen seit dem 13. Jahrhundert bestehenden Sufiorden aufgenommen wurde und bald nach Kairo zog, wo er unter dem Namen Abdel Wahêd Yahia bis zu seinem Tod lebte, hat Ziegler die Idee einer sämtlichen Völkerüberlieferungen zugrunde liegenden Urüberlieferung übernommen, an welcher der Mensch noch der heutigen Zeit auf dem Weg einer réalisation métaphysique teilhaben könne. Man könnte Zieglers Spätwerk insgesamt als den Versuch einer spezifisch christlichen Variante der integralen Tradition deuten; doch führt ihn gerade die immer stärkere Bindung an das Christentum – und dies ist für unser Thema wichtig – zu einem Bild der Geschichte und einem Begriff von Geschichtlichkeit, die sich mit den Auffassungen Guénons und seiner Anhänger nicht decken, ja ihnen in gewisser Weise widersprechen. Denn während die Herrschaft der Geschichte, der Zeit, des „Werdens“ über den Menschen vom Standpunkt der integralen Tradition aus betrachtet nur als Reich des Trugs und des Abfalls von dem „eigentlichen“, überzeitlichen Stand des Bewußtseins im „Sein“ gewertet werden kann – wie denn auch der Begriff der Tradition als solcher für Guénon keineswegs die „exoterischen“ Güter zeitlicher Überlieferung, sondern allein den „esoterischen“ Bestand der dem Wandel in der Zeit nicht unterworfenen „Lehre“ bezeichnet -, so führt die Erwartung des einbrechenden Eschaton den Christen umgekehrt dazu, gerade in der Geschichte das Feld der Verwirklichung des Absoluten zu sehen, ohne den Prozeß dieser Verwirklichung allerdings mit dem zeitlichen Verlauf als solchen gleichzusetzen, wie es der Perspektive eines gänzlich säkularisierten Messianismus entspräche. Der Notwendigkeit dieser Abgrenzungen entspringt die schwierige Konstellation einer „christlichen Geschichtsphilosophie“, deren Geschichte im 20. Jahrhundert noch nicht geschrieben, deren Perspektiven in der Gegenwart noch nicht erschöpft sind.

Die vier großen Hauptwerke Zieglers, die auf den „Gestaltwandel der Götter“ noch folgen („Das heilige Reich der Deutschen“, „Überlieferung“, „Menschwerdung“, „Das Lehrgespräch vom Allgemeinen Menschen“) entspringen der über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten hinweg immer neu ansetzenden und immer tiefer dringenden Meditation dieser Konstellation. Daß seine Kraft während all dieser Jahre ungeteilt in sein Werk fließen kann; daß er auch äußerlich die Ruhe findet, die seine meditative Arbeitsweise erfordert, verdankt Ziegler der Gunst von Mäzenen und später von ihm so genannten „Wahlsöhnen“, die ihn seit Anfang der zwanziger Jahre finanziell unterstützen. Einer von ihnen schenkt ihm ein Haus in Überlingen am Bodensee, das Ende 1925 bezogen werden kann. Dort erlebt der fortan in bescheidenen, aber gesicherten Verhältnissen lebende Philosoph seine erfolgreichsten Jahre, in denen er ein viel gelesener, wenngleich auch oft kritisierter Autor ist. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit entfaltet Ziegler jetzt eine umfangreiche Vortragstätigkeit, die ihn 1926 auch nach Dresden führt, wo der junge Reinhold Schneider ihn seinen Vortrag „Die Technik als Werkzeug und Schranke der Menschheit“ sprechen hört. Vehementer als je rücken von nun an auch praktische Fragen der Gesellschaft und der Wirtschaft in seinen Gesichtskreis – eine Tendenz, die sich 1929 angesichts der Weltwirtschaftskrise noch verstärkt. In einem Rundfunkvortrag vom 28. August 1929 anläßlich der Verleihung des Goethepreises, dessen dritter Träger nach Stefan George und Albert Schweitzer er wird, vertritt Ziegler die Auffassung, der Philosoph dürfe sich künftig nicht mehr damit begnügen, nur „Wächter der platonischen Idee“ zu sein. Und er präzisiert: „Die wissenschaftliche Arbeit am Begriffe, das erkenntnismäßige Begreifen ist für den Philosophen nur noch insofern Hauptgeschäft seines Lebens, als sie seinen unmittelbaren Zugriff und Eingriff in die Verhältnisse der Wirklichkeit vorbereitet. Nicht die Feststellung dessen, was gegeben ist, liegt dem eigentlichen Denker ob, sondern mindestens ebensosehr die Zielstellung, welche das Gegebene in dem tief anzüglichen Sinne des Wortes ‚richtet‘“.

Das klingt geradezu nach Marx. Und doch liegt zwischen der Sichtweise, wie sie hier zum Ausdruck kommt, und der marxistischen eine unüberbrückbare Kluft, die sich kundtut in dem einen unscheinbaren Wort „richtet“. Denn der Philosoph kann nach Ansicht Zieglers keineswegs dann legitimer „Richter“ der gegebenen Verhältnisse sein, wenn er die Maßstäbe seines Richtens allein der abstrakt ersonnenen Materie eines historischen Prozesses entnimmt, gegenüber welcher alle spezifisch „geistigen“ Verwirklichungsabsichten des Menschen nur „ideologischer Überbau“ sein sollen. Die „Zielstellung“, von der Ziegler spricht, liegt keineswegs in einer „gesetzmäßig“ sich herstellenden Zukunft, als deren Bevollmächtigter der Philosoph sich aufspielen soll, sondern in einer übergeschichtlichen und gerade deshalb einer jeden geschichtlichen Gegenwart aufgetragenen und diese Gegenwart je „richtenden“ Idee des ganzheitlichen Menschen, wie vor allem Goethe sie konzipiert habe. Es liegt in der Logik von Zieglers Argumentation, daß diese „Idee“ schon insofern keine „platonische“ ist, als sie nicht als unabhängig von ihrer Verwirklichung gedacht werden kann (in Wahrheit freilich ist der platonischen Idee die Verwirklichungsabsicht je schon eingeschrieben; nur hat sich eben aufgrund der Polemik von Platons größtem Schüler das Mißverständnis eingebürgert, die Idee im Sinne Platons sei durch einen chorismos von der Wirklichkeit getrennt.) Ziegler spricht hier nicht allein als Philosoph, sondern auch und vor allem als Christ. Die Idee des „Menschen“ – der „Person“ im spezifisch christlichen Sinne des Wortes – ist von vorneherein eine an die Geschichte vermittelte Idee, ja ist die Idee und Geburt der Geschichte selbst, welche, wenn sie sich ihrem „personalen“ Ursprung und Maßstab gegenüber verselbständigt, immerzu tragisch verlaufende Geschichte sein muß. Die Implikationen freizulegen, die in diesen Grundannahmen beschlossen liegen, ist das große Unternehmen von Zieglers Spätphilosophie, deren Fundamente Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre in einer großen Anstrengung und Dichte des Denkens sich klären, ohne allerdings sogleich mit voller Wucht im Werk sich zu manifestieren. Ein erster Abtrag erfolgt erst mit der 1932 veröffentlichten Broschüre „Zwei Goethereden und ein Gespräch“, einer wichtigen Station auf dem Weg zu „Überlieferung“, dem dritten Hauptwerk von 1936. Dort ist Goethes Idee des „Menschen“ um eine entscheidende Dimension erweitert: sie erscheint jetzt als die mythisch-urgeschichtliche Kategorie des „Allgemeinen Menschen“ im Sinne Guénons und der integralen Tradition.

Doch zunächst, Anfang der dreißiger Jahre, stehen noch das Interesse an der Zeitgeschichte und Zieglers Hoffnung im Vordergrund, auf den zunehmend als verhängnisvoll empfundenen Gang der Dinge Einfluß nehmen zu können. Zu diesem Zweck positioniert sich Ziegler, ein früher und klarsichtiger Gegner Hitlers und seiner Bewegung, erstmals auch politisch in eindeutiger Weise. Unter dem Einfluß Edgar Julius Jungs und seines Buches „Die Herrschaft der Minderwertigen“ formuliert Ziegler die 1931 veröffentlichten „Fünfundzwanzig Sätze vom deutschen Staat“, in denen er dem seiner Ansicht nach verlogenen und von Anfang an zum Scheitern verurteilten Parteienstaat der Weimarer Republik die Idee eines hierarchisch gegliederten „Körperschaftsstaates“ entgegenstellt, in welchem das Staatsoberhaupt in direkter Weise vom Volk gewählt werden solle. Ziegler trägt diese Ansichten auch dem Reichskanzler Heinrich Brüning vor, den er auf Veranlassung des späteren ZDF-Intendanten Karl Holzamer trifft. Diesem zufolge weisen die „Fünfundzwanzig Sätze“ „eine so sinnenfällige Parallelität zu der Gesellschafts- und Wirtschaftsenzyklika Pius´ XI. ‚Quadragesimo Anno‘“ auf, daß Ziegler seine Auffassungen „in einer langen Besprechung tête à tête“ dem Katholiken Brüning darlegen solle. Freilich verläuft das Gespräch ebenso ergebnislos wie ein von Edgar Julius Jung in die Wege geleitetes Treffen Zieglers mit Franz von Papen im Frühjahr 1934. Noch jetzt halten Jung und Ziegler es für möglich, den Nationalsozialismus in ihrem Sinne „umpolen“ zu können. Erst die Ermordung Jungs am 30. Juni 1934 offenbart Ziegler, wie trügerisch diese Hoffnungen von Anfang an gewesen sind. Ziegler, der ernste Konsequenzen auch für sich und seine Frau befürchten muß, flüchtet in die Schweiz, kehrt aber wenig später nach Überlingen zurück, da Jung rechtzeitig alle Briefe Zieglers vernichten konnte und insofern keine direkte Gefahr mehr besteht. Doch ist die Zeit der öffentlichen politischen Wirksamkeit jetzt vorbei, und Ziegler zieht sich zurück, um sein Buch „Überlieferung“ fertigzustellen. Es erscheint 1936 im Hegner Verlag und bietet die vorläufige Summe einer „negativen“ Geschichtsphilosophie, in deren Intentionen Ziegler sich durch die Begegnung mit Reinhold Schneider und dessen „transzendierender“ Geschichtsschreibung bestätigt fühlen mußte. „Kein Zweifel darnach“, so lauten Worte Zieglers, welche Schneider 1956 in einer Gedenkrede zum 75. Geburtstag des Freundes zitiert, „daß der Lebendige Gott seine innergöttliche, wahrhaft heilige Geschichte hat, die ihm wesenseigen, ja dieses Wesen selber ist. Kein Zweifel aber auch, daß selbige Geschichte niemals zur Auswirkung gelangt in ‚dieser‘ Welt und in ihr Getriebe, in ihre Geschicke niemals eingreift, bevor die zweite Hypostase nicht in Gestalt des Mittlers, Sohnes, Ewigen Menschen aus der väterlichen Innergöttlichkeit heraustritt.“

IV.

Erst gegen Mitte der dreißiger Jahre, mit dem jähen Ende von Zieglers politischen Hoffnungen, wirkt sich die „christliche Wende“ der Jahre 1927 bis 1929 in direkter Weise auf das erkenntnistheoretische und geschichtsphilosophische Grundgerüst seines Werkes aus. Die Grundannahme aber, deren Entfaltung das Buch „Überlieferung“ ist, steht bereits Ende 1929 fest, wie ein Brief Zieglers an Friedrich Gundolf beweist.

Dieser hatte am 24. November an den Philosophen geschrieben: „Bei der Lesung Ihrer Bücher gilt es, für Menschen meiner Anlage, nicht nur das freudige Gewahrwerden Ihrer ungeheuren Wissensfülle und Ihrer Gewalt darüber, sondern auch – Freude und Kampf zugleich – die Bewährung der Geschichts-bilder vor der Geschichts-weisheit, vor der philosophischen Perspektive worin sie Ihnen erscheinen. Der uralte Kampf zwischen Philosophie und Historie (verwandt mit dem zwischen Philosophie und Dichtung) oder zwischen Sinnsprache und Bildsuche wird durch Sie wieder wach und hell, durch einen Philosophen, der die Geschichte genauer weiß als Historiker Philosophie zu kennen pflegen, (wenn sie überhaupt ihrer mächtig oder ihr hörig sein dürfen ohne Gefahr des ‚historischen Sinns‘. Was der Historie droht, wenn ein Philosoph sich ihrer als Zeichensprache bedient für die Aufhebungsakte der Historie, hat Hegel, selbst noch Nietzsche, gezeigt. – In Ihrem ‚Gestaltwandel der Götter‘ bekundet sich eine Geschichtskenntnis, eine Geschichtszärtlichkeit fast, wie sie sogar bei Fachhistorikern selten, bei Philosophen ohne Beispiel ist… und dennoch wollen auch Sie damit nicht die Gegenwart der Historienbestände, sondern deren Aufhebung in den transcendenten Grund.“

Ziegler antwortet darauf am 30. November: „In einem bestimmten Stadium meiner Arbeit mußte es mir auffallen, daß die Geschichte als solche immer wieder bewegt und fortgetrieben werde durch ihrer Intention nach über- und außergeschichtliche Momente, die nur als Einbruch in sie deutbar werden, oder wenn Sie wollen, als ‚Aufhebung‘ … Seither beginne ich zu ahnen, warum ich immer mit innerer Zwangsläufigkeit in der Geschichte nach den Einkörperungen geschichtsjenseitiger Mächte suchen und suchen mußte. Indem ich so verfuhr, zum Ärgernis des berufenen Geschichtsschreibers (und in den Konsequenzen auch des Wissenschaftlers überhaupt), gehorchte ich einer Duplizität der Tendenzen, in die mir auch sonst alles Lebendige auseinanderbricht, um freilich von ihr aus auch zur Einheit wenn nicht des Seins, so doch des Geschehens zu verwachsen.“

Diese Äußerung ist der Schlüssel zu der gesamten negativen Geschichtsphilosophie Zieglers. Wenn es in einem Brief vom 8. Oktober 1935 an Reinhold Schneider heißt, dieser werde in „Überlieferung“ „auf Gedankengänge stoßen, die es begreiflich machen, warum heute die Geschichte der Säkularisation verfällt“, so steht dahinter ein Bild von der Geschichte, das uns nicht auf Anhieb verständlich sein kann, wenn wir uns innerhalb der herkömmlichen, im Wesen noch historistischen Dichotomie von historischem und unhistorisch-mythischem Bewußtsein bewegen. Bücher wie „Kosmos und Geschichte“ von Mircea Eliade haben in dieser Hinsicht dogmatisierend gewirkt und verstellen uns den Blick darauf, daß Geschichte und Zeitlichkeit im christlichen Sinne sich überhaupt erst an der ständigen, seinshaften Gegenwärtigkeit Jesu Christi und an dem Auftrag der Nachfolge entzünden. In den ungeheuren Gedanken einer „Säkularisierung der Geschichte“, der sich in ganz ähnlicher und vor allem in noch ähnlich unausgeschöpfter Weise bei Walter Benjamin findet (worauf nachdrücklich Sigrid Weigel hingewiesen hat), schießt in seiner ganzen Tiefe das gesamte christliche Bild von der Geschichte ein, dessen Dreh- und Angelpunkt die von den heutigen Christen leider zumeist schmählich ignorierte, ja in abgründiger Weise gehaßte Lehre von der Erbsünde ist.

Vor diesem Hintergrund ist hochinteressant, daß Ziegler sich an einer unscheinbaren Stelle seines vierten Hauptwerks „Menschwerdung“, an dem er von 1937 bis 1944 in völliger Zurückgezogenheit gearbeitet hat, als „Semipelagianer“ bezeichnet, sich also mit einem Fuß auf den Boden der im Jahr 529 von der katholischen Kirche verurteilten Lehre stellt, wonach Adams Übertretung den Leib und die Seele des Menschen nicht gänzlich, wie es der augustinischen Lehre entspräche, „zum Schlechteren gewandelt“ habe, und wonach der Glaube kein Geschenk der Gnade, sondern eine natürliche Anlage des Menschen sei. In einem bestimmten Sinne hält Ziegler an der Möglichkeit und Notwendigkeit einer solchen theologia naturalis fest. Er bestreitet aber nicht die unumstößliche Wirklichkeit der Erbsünde, die sogar zu den zentralen Motiven seiner Spätphilosophie gehört. Alles, was Ziegler zur Geschichte zu sagen hat, ergibt sich aus seinem „Semipelagianismus“, sofern seiner Ansicht nach Geschichte eben keine Maschine ist, welche das Heil auf naturnotwendige Weise aus sich heraus produziert, sondern der an den Einzelnen und an die Völker ergehende Auftrag, das beschädigte Bild Adams durch das Erwachen zu Christo wiederherzustellen und auf diese Weise das Ende der Geschichte durch die Erfüllung ihres Sinns herbeizuführen. Der horizontale Ablauf der Zeit gründet in der vertikalen Dimension einer réalisation métaphysique, die das Ende der Zeit immer schon vorwegnimmt. Es gibt kein Christentum ohne diese apokalyptische Dimension von Zeit und Zeitlichkeit.

Damit ist der sich überkonfessionell verstehende „Semipelagianer“ Ziegler aber katholischer als ein Katholizismus, der ohne Erbsünde und damit ohne Kreuz auszukommen meint, der das Geheimnis der Inkarnation auf einen Akt der „Solidarität“ reduziert, und der die bloße „Natur“ des Menschen auf Kosten der übernatürlichen Gnade absolut setzt. Das Wesen der säkularisierten Geschichte ist der Naturzustand als Hölle. Walter Benjamin hat das Anfang der 20er Jahre in die Ruinenlandschaft des Barock hineingesichtet; zehn Jahre später konnte es jeder nicht vorsätzlich Verstockte unmittelbar dem Zeitgeschehen entnehmen. Angesichts dessen wurde die 1935 beginnende Freundschaft zwischen Schneider und Ziegler von letzterem mitunter als eine mystisch-apokalyptische Gemeinschaft gefeiert; so etwa, wenn es in einem Brief noch desselben Jahres heißt: „Es ist eigentlich erschütternd, in welchem Gleichsinn sich heute die paar ‚letzten Menschen‘ dieses Äons zusammenfinden.“ Auf diese Weise dürfte er durchaus dazu beigetragen haben, daß sein Freund im Jahr 1937 zurück zur Kirche fand – und damit einen Weg ging, den Ziegler sich selbst versagt hat und wohl auch versagen mußte. In ihrer Grundentscheidung, einer auf fanatische Weise sich und ihre „konkreten“ Hervorbringungen absolut setzenden Zeit gegenüber in „ultramontaner“ Weise die Zone des „inneren Vorbehalts“ geltend zu machen, sind Ziegler und Schneider sich jedenfalls einig. Hier tut sich kund, was der Schriftsteller Martin Mosebach in einem jüngst erschienenen Beitrag für das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ die „katholische Mentalität“ genannt hat (und in der Tat wäre zu zeigen, daß Ziegler in seinem Spätwerk dem Katholizismus sehr viel näher steht als dem Protestantismus): „mit einem kleinen Teil des Bewußtseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein.“

Die hämischen Reaktionen, die dieser Artikel in einem Teil der deutschen Feuilletonwelt geerntet hat, versetzen in Erstaunen. Mit einem Schlag tritt in solchen Augenblicken das ganze am Grund einer verlogenen Scheinwelt lauernde totalitäre Potential derer hervor, die sich nach eigenem Urteil nichts vorzuwerfen haben. „Auch das Bewußtsein, der Zeitgenossenschaft zu entkommen“, kommentierte etwa Christian Geyer in der FAZ, „kann doch nie anders denn als Zeitgenosse gewonnen werden. Wie sollte das möglich sein, sich aus höherer metaphysischer Einsicht aus seiner Zeitgenossenschaft zu stehlen, aus den Bezügen von Recht und Kultur und Politik – und sei es mit einem klitzekleinen Bewußtseinszipfel nur? An solche Zipfel hängen sich Esoteriker aller Couleur, politische Romantiker und hohnlachende Dezisionisten.“

„Wir hätten keinerlei Neigung, uns noch lange mit den Resten mittelalterlicher Dogmatik herumzuschlagen, denn die ist durch das ‚Fortschreiten‘ und die ‚Veränderung‘ der Geschichte, die [er] offenbar aus völliger Verblendung seines geistigen Auges nicht bemerken konnte, mehr als widerlegt worden.“ Das ist nicht etwa, wie man glauben könnte, die Fortsetzung des Kommentars, sondern ein gegen Reinhold Schneider polemisierender Artikel von 1938 aus dem „Völkischen Beobachter“. An den Bewußtseinszipfel, der sich „Dienst an der Zeitgenossenschaft“ nennt, hängen sich eben Gutmenschen und Gleichschalter aller Couleur. Ihre Argumente gleichen stets der Polemik, mit der Carl Schmitt sich in seinem „Leviathan“-Traktat gegen die „kleine, umschaltende Gedankenbewegung aus der jüdischen Existenz heraus“ gewendet hat, die Spinoza in die politische Theologie von Thomas Hobbes eingeschleust habe. Mit dem Unterschied allerdings, daß Carl Schmitt sich 1938, wenn auch in verdeckter Weise, mit seinem „Erzfeind“ Spinoza identifiziert hat – also selber dem Leviathan mit jenem „inneren Vorbehalt“ begegnen wollte, den er bei Spinoza verwirft. Ziegler und Schneider haben sich – daran gilt es also auch heute noch zu erinnern – viel deutlicher entschieden: ihr geistiges Zentrum liegt in der (das Immanente freilich durchwirkenden) Transzendenz, in der Judentum, Christentum und Islam gemeinsam ihre Wurzel und Heimat haben, und die zu tradieren der einzige Sinn einer Überlieferung (Kabbala) ist, die sich niemals auf die Ebene der bloßen „Werte“ reduzieren läßt, ohne durch solche Bemühungen rein weltlich-humaner Sinngebung bereits im Innersten zerstört zu sein.

V.

Nach „Überlieferung“ kann 1937 noch ein weiteres Buch Zieglers erscheinen. Es heißt „Apollons letzte Epiphanie“ und greift die kunstphilosophischen Betrachtungen der Jugendzeit neu auf, um sie in den Zusammenhang der in den Hauptwerken entfalteten Religionsphilosophie einzufügen. Danach verstummt Leopold Ziegler für die gesamten langen Jahre, die die Herrschaft der Nationalsozialisten noch währt. Sieben Jahre lang, bis 1944, arbeitet er an seinem zweibändigen vierten Hauptwerk „Menschwerdung“, einer Auslegung der sieben Bitten des Vaterunser, die allerdings erst 1948 veröffentlicht werden kann.

Von Schneider erscheint 1938 die berühmt gewordene Erzählung „Las Casas vor Karl V.“. Die Schilderung des Kampfes des Dominikaners Bartolomé Las Casas gegen die Unterdrückung der lateinamerikanischen Ureinwohner ermöglicht es dem Dichter, öffentlich gegen die Verfolgung der Juden zu protestieren. Nach einem zurückgezogen in einem einsamen Schwarzwalddorf verbrachten Jahr und seiner dort vollzogenen Rückkehr zur Kirche siedelt Schneider nach Freiburg um, wo er bis zu seinem Tod wohnen wird, und wo in den Kriegsjahren jene vielen Sonnette und kleinen religiösen Schriften entstehen, die in Abschriften und Privatdrucken von Hand zu Hand gehen und zahlreichen Menschen Stütze und Trost sind. Das Veröffentlichungsverbot, das 1941 gegen ihn ausgesprochen wird, wird von Schneider immer wieder geschickt unterlaufen. Doch wichtiger noch als seine ungeheure Produktivität ist ihm der tragende Grund, der sie allererst ermöglicht: das, was Schneider wiederholt als „betende Existenz“ beschrieben hat. In ihr wissen sich Schneider und Ziegler, die im März 1938 einander zum ersten Mal auch persönlich begegnen, während dieser Jahre am innigsten verbunden. Denn auch Zieglers Existenz dieser Jahre war eine betende, wovon nicht zuletzt die wunderbaren Seiten Zeugnis ablegen, die das Buch „Menschwerdung“ dem Thema des Gebets widmet.

Das „negative“, „transzendierende“ oder „tragische“ Bild von der Geschichte bleibt das Leitthema des Briefwechsels von Ziegler und Schneider. So schreibt der Philosoph am 2. November 1936 unter dem Eindruck der Lektüre von Schneiders „Inselreich“: „Es war hoch an der Zeit, daß einer dem verwirrten Abendlande sagt: Geschichte ist Schuld und Empörung und Abfall.“ Das Buch zeige „zum erstenmal einen Weg, Geschichte aus sich selbst heraus zu überwinden“, und Ziegler fügt hinzu: „Gewiß, das wird nie Sache der Völker sein, sondern der Einzelnen und Berufenen. Und es scheint mir die ‚existentielle‘ Frage an die vermutlich ferne Zukunft, ob einmal diese Überwinder der Geschichte zugelassen werden, ihrerseits Geschichte zu machen und damit der Geschichte ein neues Gesicht zu geben??“ In „Das heilige Reich der Deutschen“ hatte Ziegler den „Friedenskaiser“ Heinrich III. als einen solchen „Überwinder der Geschichte“ gefeiert.

Schneider antwortet am 23. November 1936: „Es ist mein ganzes Bestreben, das Geschichtliche der Vergewaltigung durch das Politische zu entreißen und zu zeigen, wie das Übergeschichtliche durch das Geschichtliche wirke.“ Auch und gerade in Zieglers Werk vernimmt Schneider „die Antwort (…), die der Geist der Geschichte gibt, indem er sie überwindet“ (Brief vom 23. August 1938). Dieses Bestreben, der Geschichte unter allen Umständen den Geist entgegenzusetzen, leitet auch die folgenden merkwürdigen Sätze, die Ziegler seinem Freund am 22. September 1939 schreibt: „Sehe ich indes vom Persönlichen ab, das kummervoll genug ist, so finde ich, nachdem nun eingetroffen, was ich längst gefürchtet, vieles im Werden, das für eine künftige Zeit einmal ganz positiv zu bewerten sein könnte, falls es von den Ereignissen nicht erstickt, sondern getragen wird. Geschichtliches ist mit Übergeschichtlichem so stark verflochten und durchsetzt, Teuflisches mit Göttlichem, daß unser Urteil nicht mehr trennen und nicht mehr unterscheiden kann. Aber das ist genau die Signatur, die apokalyptische, eines sterbenden und eines sich selbst gebärenden Weltalters: auch in diesem Sinn ein ‚Eschaton‘, daß es mit der Möglichkeit eines äußersten Verlustes die Möglichkeit eines äußersten Gewinnes verbindet und die Verzweiflung mit der Hoffnung, ja mit der Zuversicht gattet.“ Der folgende Brief benennt diese Hoffnung und Zuversicht stiftende Sphäre, in der er auch das Werk des Freundes verankert sieht, als „die Übergeschichtlichkeit des Heiligen“.

Die gegenwärtige geschichtliche Ausspiegelung des Heiligen freilich, so Ziegler am 27. Dezember 1939 unter Anspielung auf die religionsphänomenologischen Kategorien Rudolf Ottos, mache es sichtbar zunächst „in der einzigen Gestalt des Tremendum“. Angesichts dieser Theorie, wonach, wie es am 8. Juni 1940 noch radikaler lautet, „der Schöpfer-Gott auch Zerstörer-Gott ist und sein muß“, treten allerdings einige Differenzen zwischen dem Philosophen und dem Dichter zutage. Schneider antwortet am 16. Juni: „Gott schlägt und straft durch die Gewalt; daß er der Zerstörung sich bediene, um Neues zu schaffen, ist mir gegen Glauben und Gefühl.“ Einige von Zieglers Aussagen zu dieser Zeit versetzen insofern in Erstaunen, als er andererseits immer wieder betont hat, daß ein „Katastrophismus“ wie derjenige Nietzsches ihm eigentlich fremd sei, daß man den ewigen „Protestanten“ in sich überwinden müsse, und daß „Dauer“ (im metaphysischen Sinne einer unverbrüchlichen Teilhabe an der Transzendenz) das Prinzip abendländischen Philosophierens zu sein habe. Doch bricht gerade hier, in diesem scheinbaren Widerspruch, die Tiefendimension auf, in der Zieglers Spätwerk verankert ist: wie können die real hereinbrechende Katastrophe, der real sich vollziehende Bruch mit den Prinzipien von Tradition und Transzendenz vereinbart werden?

Einig ist Schneider mit seinem Freund, wenn dieser im Sinne seines „Semipelagianismus“ schreibt: „Dieser Generation ist es wohl befohlen, einen Rahmen zu schaffen, in dem erst künftige Generationen von unvorstellbar anderer Beschaffenheit das Bild hineinmalen werden. Und mein Glaube ist unumstößlich, daß dieses späte Bild wieder Eben-Bild viel eher sein wird als Gegen-Bild.“ Hier stimmt Schneider zu und fügt hinzu: „Ein geheimes Trachten nach diesem Bild geht durch die Zeit und ist vielleicht ihr tiefster Schmerz.“ Zentrale Abschnitte von „Menschwerdung“ sind diesem Thema des Eben- und des Gegenbildes gewidmet, auf das Ziegler vor allem bei Jakob Böhme und Franz von Baader stößt, deren Theorien er sich in diesen Jahren vollkommen zueigen macht. „Böhme und Baader“, heißt es am 5. Dezember 1941, „haben mich in einem unglaublichen Maße inspiriert, und ich wage jetzt den Umriß einer ‚Satanologie‘ zu geben, die der eigentlichen ‚Soteriologie‘ erst ihren vollen Sinn gibt. Aber was mich ins Zentrum traf – Böhme und Baader sind im Besitz einer tief esoterischen Lehre von der Menschwerdung, deren Grundzüge jetzt unbedingt festgelegt werden müssen.“

Doch nicht allein das Zeitgeschehen trägt dazu bei, daß Ziegler sich mit seiner Arbeit „mitten im Wirbel der apokalyptischen Stunde“ fühlt, wie er am 13. Juli 1942 mitteilt. Seine Sehkraft läßt in diesen Jahren rapide nach – die letzten 15 Jahre verbringt Ziegler in nahezu völlig erblindetem Zustand. Er benötigt von nun an eine Sekretärin, die seine schwer lesbaren Notizen zu entziffern vermag – mit dem Diktieren tut Ziegler sich schwer -, Manuskripte anfertigt, ihm aus Zeitungen und Büchern vorliest. Wichtiger noch als diese belastenden äußeren Umstände sind aber die tiefgreifenden Verwandlungen von Zieglers innerem Leben angesichts des Krebstodes seiner Frau, den er geradezu als Sieg über den Tod selber erfährt. „Nicht einmal in den quälendsten Wochen vermochte das grausame Übel die Würde ihres bewußten Selbst zu verringern oder auch nur anzutasten; vielmehr schien sich ihre ganze Person erst jetzt zu ihren höchsten Möglichkeiten emporzustraffen. (…) Was war da noch hinzuzusetzen, wegzuwünschen, zu beklagen oder vollends anzuklagen? Wie mit einem Schlage war die Welt jetzt rund und heil, vollkommen und ‚bewährt‘ – wie oben, so auch unten, nach dem Willen ihres Schöpfers. Mir aber deuchte der stumme Himmel von einem großen Jubel zu erdröhnen.“

Am 22. Dezember 1942 schreibt Schneider an Ziegler: „Aber immer ziehen meine Gedanken zu Ihnen hin – und zu den Segensmächten, die über Ihrer Arbeit stehen. Der große Übergang der Arbeit in das Gebet: ob das nicht das Letzte ist und ob Sie uns nicht auch hierin ein Beispiel geben, jetzt, in der Stunde des Beispiels? Mögen nur Ihre Augen nicht zu angestrengt sein.“ In beider Briefen häufen sich jetzt die Berichte von Krankheiten; die Sorge um die Gesundheit des jeweils andern nimmt breiten Raum ein. Um Schneiders Gesundheit steht es noch schlechter als um Zieglers, denn eine äußerst schmerzhafte und operativ nicht zu behebende Darmverwachsung quält ihn. In seinen letzten Lebensjahren nimmt Schneider kaum noch feste Nahrung zu sich, ernährt sich oft tagelang nur von flüssigen Eiern, Säften, Wein und Bier. Umso beeindruckender ist, daß Schneiders Produktivität auch nach Kriegsende nicht abnimmt. Jetzt entstehen als wichtigste der späten Werke Schneiders die großen christlichen Tragödien, die auf vielen Bühnen ein Erfolg werden, die 1954 veröffentlichte Autobiographie „Verhüllter Tag“, sowie das posthum veröffentlichte und ob seiner trostlosen Düsternis kontrovers diskutierte Tagebuch „Winter in Wien“ aus dem Winter 1957/58. 1952 wird Schneider Ritter des Ordens Pour le mérite; 1956 wird ihm der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen.

Doch diese späten Erfolge stehen im Schatten einer schweren Krise, zu der es Anfang der 50er Jahre kommt, als Schneider sich nicht scheut, Vortragsmöglichkeiten in der kommunistischen Ostzone zu nutzen und sich vehement gegen die westdeutschen Wiederaufrüstungspläne zu wenden. Daraufhin wird er von den Medien verleumdet und boykottiert. Da Schneider auf das Geld angewiesen ist, das ihm seine Beiträge für Presse und Rundfunk einbringen, wird die Situation für ihn existenzgefährdend. „Nimmer“, kommentiert Ziegler am 28. Januar 1952, „hätte ich es (…) für möglich gehalten, daß Sie, nicht nur der bedeutendste, sondern auch der anerkannteste, ja gefeiertste katholische Schriftsteller der Zeit, wegen der Veröffentlichung Ihrer Arbeiten je in Verlegenheit geraten könnten. Das ist zu absurd, um auch bloß glaubwürdig zu sein – und dennoch ist es wahr. Auch hier bekundet die Weltstunde mit grausiger Eindeutigkeit, was ‚im vollen Zuge‘ ist. Die usurpierende Macht läßt den Forscher, Denker, Dichter und Künstler, der wider den Stachel zu löcken wagt, einfach gar nicht an die Angesprochenen herankommen. Wir finden uns plötzlich auf die okkulteste Weise von der Welt bei einem Spiele mattgesetzt, welches längst nicht mehr wir selber spielen, weil es sich längst selber spielt und wir einzig noch seine Figuren, seine Figuranten sind.“

Ziegler weiß, wovon er spricht. Denn der Goethepreisträger von 1929 hat sich aus der Vergessenheit, in die er in den späten 30er und den 40er Jahren geraten ist, nicht wieder befreien können, hat an die Erfolge der 20er und frühen 30er Jahre niemals wieder anknüpfen können. Als 1948 endlich „Menschwerdung“ erscheint, bleibt das Echo gering. Zwar erhält Ziegler auch nach dem zweiten Weltkrieg noch einige Auszeichnungen – so wird ihm 1951 von der Universität Marburg der Titel des Ehrendoktors der Religionswissenschaft, von der Badischen Landesregierung der Titel des Professors verliehen; im selben Jahr erhält er den Gottfried-Keller-Preis, 1956 das Große Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und den Bodensee-Literaturpreis -; doch seine Bücher werden kaum mehr gelesen und diskutiert, seine Ideen treten den Weg einer kaum rekonstruierbaren unterirdischen Wirksamkeit an. Dabei zeigt uns erst das jedem oberflächlichen Zugriff sich verschließende Spätwerk den „vollendeten“ Ziegler. Sein fünftes, letztes und schwierigstes Hauptwerk „Das Lehrgespräch vom Allgemeinen Menschen in sieben Abenden“ (1956) beansprucht nichts geringeres, als die Summe der vorangegangenen Hauptwerke zu ziehen und ihnen das gültige erkenntnistheoretische Fundament zu bereiten.

„Überlieferung“, „Menschwerdung“ und das „Lehrgespräch“ bilden gewissermaßen ein Triptychon. Ersteres Werk stellt, wie Ziegler am 14. Januar 1936 an Schneider schreibt, den Versuch dar, „die ‚integrale Tradition‘ in ihrer Ganzheit geistig zu restituieren“. Der Mythos des Allgemeinen Menschen erscheint hier als feststehendes Lehrgebäude in dem Sinne einer philosophia perennis, die in der Welt der heiligen Symbole und Handlungen die geoffenbarte Weisheit Adams vor dem Sündenfall erblickt. Diese kosmische Tradition der Teilhabe des Seins in seiner Ganzheit und Einheit an einem metaphysischen Zentrum, das sich auf der Ebene des Symbols stets als „Mittelpunkt“ repräsentiert, scheint jede im engeren Sinne geschichtliche Perspektive auszuschließen. Dennoch hat, wie Ziegler in „Überlieferung“ zeigt, auch das Christentum in seiner historisch-eschatologischen Dimension eine streng traditionale Gestalt, und zwar sogar derart, daß der gesamte universale Sinn von Tradition, wie etwa Guénon ihn im Blick hat, sich in dem einmaligen geschichtlichen Ereignis der Inkarnation erfüllt und vollendet. Damit ist der Standpunkt von „Menschwerdung“ erreicht. Auf dem Weg einer weit ausgreifenden Auslegung der sieben Bitten des Vaterunsers realisiert Ziegler hier sein Vorhaben, „nicht zwar das evangelische Wort am Pegel der Gesamtüberlieferung zu messen oder es sogar von der Gesamtüberlieferung her zu deuten, wohl aber umgekehrt diese Gesamtüberlieferung unter das bergende Dach des evangelischen Wortes zu stellen und sie von ihm gleichsam überzelten zu lassen.“ Wenn es aber so ist – und damit befinden wir uns auf dem Weg zum „Lehrgespräch vom Allgemeinen Menschen“ -, daß die auf sich selbst gestellte und nichts als sich selbst wollende „Geschichtlichkeit“, die heute das evangelische Wort zu verschlingen droht, von diesem Wort allererst freigesetzt worden ist, indem es dem zum Gegenbild gewordenen Menschen auftrug, im Erwachen zu Christo dem anfänglichen Ebenbild erneut zuzustreben, welches nunmehr als Eschaton die Zeit der Geschichte produziert, so muß es mit dem Überlieferungsbruch der Gegenwart eine tiefere Bewandtnis haben, als gemeinhin der „Konservative“ glaubt, dessen vergegenständlichender Zugriff auf die Güter der Überlieferung in der uneingestandenen Leere des „Willens zum Willen“ verpufft. Jetzt, so Ziegler zu Beginn des „Lehrgesprächs“, hilft „keine noch so inständige Beschwörung urtümlicher Offenbarungswahrheiten weiter“; es „genügt (…) nicht mehr, für die in etwa zu erneuernde Universitas Mundi den Homo Universalis urheberisch einfach so haftbar zu machen“. Jetzt nämlich geht es darum, sich zu fragen, inwieweit der Überlieferungsbruch, der das rasend sich verwirklichende Schicksal der gegenwärtigen Menschheit ist, sich als providentielle Gestalt der Überlieferung selbst deuten und damit, vielleicht, bewältigen läßt.

Gibt es eine „Tradition des Bruchs“? Diese entscheidende Frage des späten Ziegler ist interessanterweise auch die Frage, die wie keine zweite die katholische Theologie des 20. Jahrhunderts bewegt hat. Die Tragik des Zweiten Vatikanischen Konzils besteht vermutlich darin, daß es nicht nur keine verbindliche Lösung formuliert, sondern auch die Frage selbst ihrer herausfordernden Kraft beraubt hat. Zieglers Antwort läßt sich wiefolgt zusammenfassen: Wenn es so ist, daß das Absolute ein Absolutes ist und trotzdem die Möglichkeit des Abfalls von ihm besteht, dann muß die Negativität dieses Abfalls von Anfang an in mystischer Paradoxie der Identität des Absoluten selbst eingeschrieben sein. Folglich sind Natur und Geschichte im ganzen von diesem Bruch durchzogen, ja sind nichts anderes als dieser Bruch. Ziegler sichtet in der, wie Schneider einmal an ihm rühmt, „großen Perspektive, die Ihnen immer gegenwärtig ist, weil sie Ihnen einfach zugehört“ (Brief vom 9. März 1952), den Überlieferungsbruch der modernen Welt schier ineins mit dem kabbalistischen „Bruch der Gefäße“, welchen der Mensch kraft tikkun in sich zur Ausheilung bringen muß, und sodann mit Kreuz und Kreuzigung in ihrer ganzen heilsgeschichtlichen Dimension. So erklärt sich denn auch Zieglers „sich täglich befestigende Überzeugung (…), wonach der Weg durch den dialektisch gebrochenen und im ‚Nous‘ sozusagen gekreuzigten Logos ‚vor Gott‘ derselbe und nämliche Weg ist wie der durch das innere, wortlose und ‚geistlose‘ Gebet unmittelbar aufsteigende Weg der mystischen Einung.“ (Brief an Walter Nigg vom 18. Oktober 1954) Damit hängt wiederum zusammen, was Ziegler Schneider am 14. März 1952 als „eine allmählich mir aufdämmernde Erkenntnis“ mitteilt: „Daß nämlich der Gekreuzigte für mich mehr und mehr überhöht wird durch den Ankünftigen und in ihm, und von hier aus die letzten Widersätze im Letzten, Eschaton, versöhnbar werden. Wenn auch vielleicht nicht für uns…“

Hier aber, an der Stelle dieses „Wenn auch vielleicht nicht für uns…“, bricht zwischen den beiden Freunden eine Differenz auf, die ihr herzliches Verhältnis nicht gefährdet, wohl aber eine gewisse Entfremdung stiftet. Die apokalyptische Siegesgewißheit seines Freundes bleibt dem pessimistischen Schneider, in dem die Dunkelheit seiner Jugendjahre wieder aufbricht, fremd. „Wir sind wohl an der Stelle“, schreibt er am 13. August 1952, „wo das Ehrwürdige in das Verborgene einmündet; ich wage nicht zu sagen, ob der Strom noch einmal hervorbricht; ich wage es eigentlich nicht mehr zu hoffen.“ Und am 25. Februar 1953: „Geschichte, sofern sie große Werte noch trägt und mit sich führt, strömt ins Unterirdische ab.“ Gerade dies aber, worin die große Schwermut gründet, die die Autobiographie „Verhüllter Tag“ und das Tagebuch „Winter in Wien“ trägt, ist für Ziegler Quelle der Hoffnung und das emphatisch bejahte heilsgeschichtliche Signum einer Zeit, in die er mit zunehmender Deutlichkeit die von der Apokalypse geschilderten Letzten Dinge einbrechen sieht. Gerade im Untergang sieht er Geschichte und Heilsgeschichte wieder identisch werden und wagt vor diesem Hintergrund in einem Brief an Schneider vom 6. November 1954 die Feststellung, „daß einige Symbole der Johannesapokalypse, ich meine die tausendjährige Fesselung des Abgrunddrachens, die Weide der christlichen Herde mit dem eisernen Stabe – Ansage einer ‚eisernen‘ Endzeittheokratie?? – im bisherigen Geschichtsbild noch keineswegs zur Einlösung gebracht sind.“

Es ist derselbe Brief, in dem Ziegler aus Anlaß der Lektüre von Schneiders Autobiographie seinen „Zweifel“ zum Ausdruck bringt, „ob Sie die unauflösliche Verrungenheit des Gerichtet- mit dem Gerettetsein nicht manchmal aus dem Auge verlieren und auf einem Gericht über Welt und Weltgeschichte bestehen, das Untergang ohne Rettung ist.“ Schneider hat auf diesen Einwand nicht geantwortet, und es ist zumindest auffällig, daß die Briefe von nun an seltener und kürzer werden, auch wenn sich an dem Ton freundschaftlicher Herzlichkeit nichts ändert. Verständnisvoller hat sich der bedeutende Jesuitenpater Erich Przywara über „Verhüllter Tag“ geäußert. Schneider schreibt am Ende seines Buches: „Der geniale Deuter der Zeit, Erich Przywara, wird es mir nicht verargen, wenn ich angesichts des Geschichtsdramas in der Theologia Tenebrarum verharre und die höheren Stufen nicht erklimmen kann.“ Przywara antwortet darauf am 20. Oktober 1954: „Ihr Stehen in einer ‚theologia tenebrarum‘ ist gar nicht, wie Sie am Schluß meinen, ‚zu vergeben‘. Denn sie ist der uns zustehende Ort (entsprechend zur obscuritas fidei). Die (gewiß letzte) theologia excessus ist im strengen Sinn mysterium mysteriorum, und wir können sie eigentlich nur ‚vorspüren‘ im ‚unerklärlichen Druck‘ der theologia tenebrarum. Grad hierin ist Ihr Buch als ‚Verhüllter Tag‘ der heilsame Protest gegen den mystischen Gnostizismus, der heute immer weiter schwelt.“

Es ist nicht auszuschließen, daß Przywaras Bedenken gegen den „mystischen Gnostizismus“ sich direkt gegen Ziegler richten, dessen Freundschaft mit Schneider und dessen Werk ihm bekannt waren. 1936 hatte sich Przywara in der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ ausführlich mit Zieglers Werk auseinandergesetzt und war zu dem kritischen Schluß gekommen: „Die ‚Neue Katholizität‘ ist nicht Katholizität des ‚All-Ganz-Voll‘ (Kath-Holon) Gottes, sondern des Menschen“. Ziegler hatte daraufhin kurz und knapp in sein Tagebuch notiert: „Der kalte Strahl des Paters Przywara“. Der von uns angedeutete Weg aber, der von „Überlieferung“ über „Menschwerdung“ zum „Lehrgespräch vom Allgemeinen Menschen“ führt, läßt es durchaus zu, auch Zieglers Denken, dem es ja fernsteht, das verheißene „Reich“ an den Pseudomessias der auf sich selbst gestellten „Geschichtlichkeit“ zu verraten, jener theologia tenebrarum zuzurechnen, in der Schneider und Przywara sich einig sind. Dem „unerklärlichen Druck“ nicht standgehalten zu haben, von dem Przywara spricht, ist möglicherweise die eigentliche Katastrophe der katholischen Kirche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewesen. Der Faden einer theologia tenebrarum ist nicht weitergesponnen worden. Stattdessen treten „Modernisten“ wie „Traditionalisten“ zumeist mit dem Anspruch einer „vollen Unmittelbarkeit“ auf, der ihre Lauheit und ihre Unfähigkeit verrät, Distanz zu ertragen und der Geschichtstatsache des „Bruches“ angemessen zu begegnen. Vor diesem Hintergrund ist es von tiefer Unheimlichkeit, daß die Frage nach einer „Tradition des Bruchs“ mit einer „Reform“ jener heiligen Liturgie des Abendlandes beantwortet worden ist, die alle Antworten auf diese Frage bereithält, weil es die Frage ist, die sie sich „immer schon“ gestellt hat, ja deren unergründliche „Gestalt“ (im tiefsten Sinne des Wortes) sie von Anfang an gewesen ist. Die Untersuchungen, die Zieglers „Menschwerdung“ dem Thema der Liturgie widmet, sind, soweit ich sehe, von katholischer Seite bislang ebenso wenig rezipiert worden wie das, was Zieglers negative Geschichtsphilosophie und im besonderen das „Lehrgespräch vom Allgemeinen Menschen“ zur Frage einer „Tradition des Bruchs“ zu sagen haben. Der legitime Ort, um dies nachzuholen, wäre zweifelsohne eine Rekonstruktion der theologia tenebrarum, deren oberstes Ziel die Herbeiführung eines Schnitts oder Bruchs (eines Bruchs im Bruch) zu sein hätte. Eines Bruchs, der identisch wäre mit dem Augenblick des Erwachens aus der schlechten Unendlichkeit der Phantasmagorie. Die heilige Liturgie des Abendlandes war von je die erscheinende Idee dieses Augenblicks.

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Über die im Text genannten Einzelwerke Reinhold Schneiders und Leopold Zieglers hinaus wurden verwendet:

SCHNEIDER, Reinhold / PRZYWARA, Erich: Briefwechsel, Zürich 1963

SCHNEIDER, Reinhold / ZIEGLER, Leopold: Briefwechsel, München 1960

ZIEGLER, Leopold: Briefe 1901-1958, München 1963

ZIEGLER, Leopold: Briefe und Dokumente (Gesammelte Werke in Einzelbänden Bd. 5), Würzburg 2005

LOOK, Maria van: Jahre der Freundschaft mit Reinhold Schneider, Weilheim 1965 SCHERER, Bruno: Tragik vor dem Kreuz. Leben und Geisteswelt Reinhold Schneiders, Freiburg / Basel / Wien 1966

SCHMITT, Franz Anselm: Reinhold Schneider. Leben und Werk in Dokumenten, Olten 1969

SCHNEIDER-FASSBAENDER, Martha: Leopold Ziegler. Leben und Werk, Pfullingen 1978

ZIEGLER, Leopold: Leben und Werk in Dokumenten, bearb. v. Gerhard Stamm / Friedbert Holz / Helmut Schroer, Karlsruhe o.J. (Katalog der Ausstellung in der Badischen Landesbibliothek vom 24.11.1978 – 10.1.1979)