Leopold Ziegler. Mythos - Logos - Integrale Tradition. Beiträge zum Werk, Band 2
Erscheinungsjahr: 2009
Seitenzahl: 192
EUR 28,-
ISBN: 978-3-8260-3940-9
Nach „Weltzerfall und Menschwerdung“ (2001) gibt die Leopold-Ziegler-Stiftung einen neuen Band mit Beiträgen zu Leopold Ziegler heraus. In ihm sind neue und einige ältere bewährte Beiträge versammelt, die Einblick in das Denken dieses bedeutenden, zu seiner Zeit weithin bekannten Philosophen versammelt. Neben Zeitgenossen und Freunden Zieglers kommen auch Autoren zu Wort, die sich aus heutiger Sicht mit seinem Werk auseinandersetzen. So kommt außer dem „Wahlsohn“ Ernst Benz, dem Marburger Religionsphilosophen, auch Oskar Köhler mit einem Überblick über Zieglers Werk zu Wort. Dietmar Kamper ist mit einem Beitrag über „Integrale Anthropologie“ vertreten. Matthias Korger und Timo Kölling bearbeiten Aspekte des Verhältnisses von Mythos und Logos, das bei Ziegler breiten Raum einnimmt. Überlegungen zum Thema „Unus Mundus“ erörtert Marc Jongen im Anschluss an alchemistische Motive bei Leopold Ziegler und Peter Sloterdijk und stellt so einen wichtigen Bezug zur Gegenwartsphilosophie her. Zusammen mit weiteren Beiträgen würdigt der Band einen Philosophen, dessen Bedeutung für die Gegenwart unvermindert fortbesteht. Der Herausgeber Paulus Wall studierte Philosophie und ist zugleich Gesamtherausgeber der Werke Zieglers. Seit 1980 ist er Referent für Denkmalpflege und Wissenschaft bei der oberösterreichischen Landesregierung.
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Oskar Köhler: Mythos und Geschichte der Menschheit. Zum Werk Leopold Zieglers
- Timo Kölling: Anmerkungen zu Mythos und Logos bei Leopold Ziegler
- Timo Kölling: Nomos und Logos, Souveränität und Gewissen. Grundwörter Politischer Theologie in den Werken Carl Schmitts und Leopold Zieglers
- Marc Jongen: Die Welt unteilbar Eine. Versuch über den Unus Mundus im Anschluss an hermetische Motive bei Leopold Ziegler und Peter Sloterdijk
- Dietmar Kamper: Signatura Crucis. Leopold Zieglers integrale Anthropologie des Opfers
- Matthias Korger: Untersuchungen zu den Beziehungen zwischen Leopold Ziegler, René Guénon und ihrem Vermittler André Préau. Mit einem Exkurs über den Besuch Frithjof Schuons bei Leopold Ziegler
- Max Lorenzen: Leopold Ziegler und Arnold Gehlen. Gemeinsamkeiten in Analyse und Kritik der Moderne
- Ernst Benz: Meine buddhistischen Nachbarn. In memoriam Fritz Mauthner und Leopold Ziegler
- Kurzbiographien der Autoren
Vorwort des Herausgebers
Im Jahre 2001 gab die Leopold-Ziegler-Stiftung mit „Weltzerfall und Menschwerdung“ einen ersten Aufsatzband zu Leben und Werk Leopold Zieglers heraus. Nunmehr, im November 2008, legt sie aus Anlass der 50. Wiederkehr seines Todestages einen weiteren Band mit Beiträgen vor, und es soll dies nicht der letzte sein. Die Leopold-Ziegler-Stiftung unternimmt dies, parallel zur Neuedition der wichtigsten Werke Zieglers sowie zur Herausgabe seiner Briefeditionen, zum einen in Erfüllung ihres Sinns und Zwecks, zum anderen im Bewusstsein der Notwendigkeit, das umfangreiche und vielschichtige Werk des Philosophen im öffentlichen Bewusstsein und in der Diskussion zu halten.
Denn anders als in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, als Ziegler ein vielbeachteter Autor war, begann sein Stern schon bald nach seinem Tode zu sinken. Mit Oswald Spengler, Theodor Lessing und Ernst Bloch hatte er einst zu den viel gelesenen und viel diskutierten Autoren gehört; sein „Gestaltwandel der Götter“, „Der ewige Buddho“ oder „Das Heilige Reich der Deutschen“ genossen starke Verbreitung. 1924 war ihm der Nietzsche-Preis verliehen worden, 1929 der Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main. Nach 1945 blieben Anerkennungen zwar nicht aus – so erhielt Ziegler etwa den Bodenseeliteraturpreis der Stadt Überlingen und den Professorentitel verliehen – aber sie waren doch eher von beschränktem Aufmerksamkeitswert. Nichtsdestotrotz gab er sich gegenüber einem seiner Wahlsöhne gewiss, dass seine Zeit noch kommen werde; und auch der in diesem Band zu Wort kommende Religionsphilosoph Ernst Benz nannte Ziegler einen „Zukünftigen“, in dem sich „das Kommende“ vorbilde. Vorderhand sind die Anzeichen für diese Renaissance noch eher verhalten, Vorboten einer verstärkten Diskussion seines Werkes gibt es jedoch. In Werken über Architektur und Kunstgeschichte, über Kulturkritik, über Antimodernismus und aristokratische Elitekonzeptionen, um nur einige Gebiete und Fragestellungen zu nennen, wird verstärkt auf seine Schriften Bezug genommen, und in einem Gespräch mit Vertretern des „Marburger Forums“ hat Rüdiger Safranski bekannt, Ziegler zähle neben Heidegger, Sartre, Schopenhauer, Nietzsche, Pascal, Simmel, Platon und anderen zu den für ihn wichtigsten Denkern. Und es darf an dieser Stelle auch bereits das Diktum Marc Jongens vorweggenommen werden, der in diesem Bande mit Bezug auf manche Parallelen zwischen Leopold Ziegler und Peter Sloterdijk – wenn auch gewiss überspitzt – von einer älteren und einer jüngeren „Karlsruher Schule“ spricht, deren Gemeinsames er inmitten einer Zeit der kulturellen Vergessenheit in der „Sorge ums Runde Ganze“ erblickt.
Damit glauben wir hoffnungsvolle Ansätze für einen Generationenwechsel zu erkennen, der sich im Sinne einer verstärkten Rezeption Zieglers auszuwirken verspricht. Seit vor nunmehr genau drei Jahrzehnten Zieglers langjährige Sekretärin und Mitarbeiterin Martha Schneider-Fassbaender eine erste, von intimer persönlicher Kenntnis wie von Verehrung bestimmte Annäherung an den Philosophen versucht hat, seit auch der alte Kreis der engen Vertrauten, Freunde und Wahlsöhne, der mit seinen Erinnerungen und Arbeiten bis heute die Basis der Ziegler-Literatur bildet, ausnahmslos nicht mehr lebt, hat sich eine Reihe neuer Autoren, zumal jüngerer, zu Wort gemeldet, deren Faszination für diesen „großen Unzeitgemäßen“ (Ernst Benz) offenkundig ist. So steht denn auch dieser Band in gewissem Sinne für eine „Wachablösung“: zwei älteren, aber noch immer lesenswerten Beiträgen stehen sechs neue gegenüber, die Zieglers Philosophie auf zeitgenössische Weise weiterzudenken bemüht sind. Allen Beiträgen jedoch ist gemeinsam, dass sie sich Zieglers Idee der „Weltverwurzeltheit“ unterstellen und auf drängende gesellschaftliche Fragestellungen abheben.
Dies machen gleich die beiden ersten Beiträge deutlich, die beide Zieglers Verhältnis von Mythos und Logos gelten. Beide Begriffe sind für Ziegler zentral – ja sie bilden geradezu die Grundthemen seines Denkens: von Ur-Überlieferung frühmenschlicher Geschichte bis herauf zum Mythos-Atheos, zum Allgemeinen und Ewigen Menschen. Schritt für Schritt ist Ziegler diesem Entwicklungsweg nachgegangen, bis er in seinem Hauptwerk die Einheit von Mythos und Logos im Allgemeinen Menschen fand.
Doch findet diese Tendenz naturgemäß ganz verschiedene Darstellungen. Oskar Köhler, der ebenfalls aus Karlsruhe stammende Kirchenhistoriker und Gründer der Zeitschrift „Saeculum“, geht in „Mythos und Geschichte der Menschheit“ von der Frage nach dem Wesen des Menschen aus und verteidigt mit Ziegler den Mythos als eine Kategorie sui generis. „Hymnische Jüngerschaft“ jedoch als untunlich ablehnend, relativiert er den mythischen Erklärungsansatz Zieglers zugleich ein Stück weit – denn die Erforschung des Mythos könne den Ursprung der Menschheit ebenso wenig erklären wie die wissenschaftliche Anthropologie. Dem Lebenswerk Zieglers attestiert Köhler aber, dass es den Leser vor einen Horizont führe, innerhalb dessen sich sowohl die Entwicklung zum Allgemeinen Menschen als auch zu der uns auferlegten Einen Menschheit vollziehe. Letztere sei nicht durch „Verabredungen“ herzustellen, sondern nur durch eine von den Ursprüngen ausgehende Überlieferung – sei der Mensch doch keiner geschichtlichen Wiederholung fähig, wohl aber der Wieder-Holung.
Timo Kölling, derzeitiger Stipendiat der Leopold-Ziegler-Stiftung und Autor einer soeben erschienenen Studie über den Einfluss Zieglers auf das Denken von Ernst und Friedrich Georg Jünger, behandelt das Verhältnis von Mythos und Logos als das Grundthema Zieglers. Dabei geht es ihm unter anderem um eine begriffliche Klärung dessen, was beim Schritt vom mythischen zum rationalen Denken eigentlich geschieht, und was die Unterordnung des einen unter das andere für den geistesgeschichtlichen Prozeß bedeutet. Vom Kontext einer metaphysischen Philosophie gelangt Kölling auf deren „kulturkritische“ Strömung, der er unter anderen Ziegler als Vertreter der „Integralen Tradition“ zurechnet. Den Begriff der „Verwissenschaftlichung“, der eine kritische Haltung gegenüber dem Logos zum Ausdruck bringt, sieht er durchaus im Zentrum von Zieglers Lebenswerk. Allerdings erschöpft sich, wie Kölling zeigt, der Begriff des Logos für Ziegler nicht in diesem Prozess. Es gebe einen doppelten Weg vom Mythos zum Logos, einen „griechischen“ und einen „jüdischen“; und was in der geschichtlichen Entwicklung des Judentums an die Stelle des mythischen Bildes trete, sei nicht zuerst der rationale Begriff, sondern der göttliche Name. In dieser Bedeutung wird, so Kölling, „Logos“ zum Grundwort von Zieglers Spätphilosophie, die nicht eigentlich einer „Wiederentdeckung“, sondern vielmehr ihrer Entdeckung überhaupt harre. Bemesse man einen Schriftsteller gemeinhin danach, ob er sich auf der „Höhe seiner Zeit“ bewege, so gehöre Ziegler zu jenen wenigen Denkern, bei denen dieses Verhältnis sich in scheinbar paradoxer Weise umkehre. Köllings Anspruch geht dahin, zu zeigen, dass Ziegler die zu seiner Zeit herrschenden Standpunkte auf eine philosophische Konzeption hin zu überwinden verstand, die „noch heute der denkenden Einholung harrt“.
In einem zweiten Beitrag, der an die Ausführungen zu Mythos und Logos unmittelbar anknüpft, geht Timo Kölling einigen bemerkenswerten Parallelen zwischen Leopold Ziegler und Carl Schmitt nach. Wie Ziegler, so habe auch Schmitt in seinem Spätwerk ein Grundwort gefunden, das es ihm erlaubt habe, den herkömmlichen Gegensatz von Mythos und Logos, von Bild und Begriff zu überwinden: das Wort „Nomos“. Auf dem Weg eines Vergleichs, der bei den Säkularisierungstheorien ansetzt, die Ziegler und Schmitt zu Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts formuliert haben, entziffert Kölling – ausgehend von einem verdeckten Schmitt-Zitat in einer späteren Schrift Zieglers – das Buch „Von Platons Staatheit zum christlichen Staat“ als Gegenentwurf zu Schmitts rätselhafter Schrift „Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes“. In dem, was man, so Kölling, durchaus Zieglers „Politische Theologie“ nennen könne, nehme der Begriff des „Gewissens“ die Stellung ein, die in Schmitts Werk dem Begriff der „Souveränität“ zukomme.
Marc Jongen, ehemaliger Stipendiat der Leopold- Ziegler-Stiftung, geht es in seinem Beitrag um Parallelen – und freilich auch um grundlegende Unterschiede – zwischen Leopold Ziegler und Peter Sloterdijk, dessen Assistent an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung er inzwischen ist. Ausgehend von der Unus mundus-Idee, der alten Vision einer Welt, in der Geist und Materie, Psyche und Kosmos, Ewigkeit und Zeit sich ergänzen, unternimmt Jongen eine tour d´ horizon, die ihn zu einem kritischen Vergleich mit den verschiedensten Lehren, Theoremen und Ausprägungen einer Rekonstruktionsarbeit am Unus mundus führt – von Peter Sloterdijks „Sphären-Projekt“ über die Esoterik von New Age, New Science (Capra, Sheldrake) und Informatik (W. Vlusser) bis zurück zu C. G. Jungs Archetypen. Jongen schließt seine höchst aspektreichen Überlegungen mit der Frage, ob etwa die Globalisierung als zeitgenössische Variante der alten Unus mundus-Vision gelten könne, um anhand von Theoremen Sloterdijks bewusst zu machen, dass es sich dabei um zweierlei Visionen handelt: Wo es dem Unus mundus um die Belebung spiritueller Traditionen geht, will Globalisierung lediglich neue Begehren schaffen.
Bemerkenswert auch der Beitrag des früh verstorbenen Dietmar Kamper über die integrale Anthropologie des Opfers bei Ziegler. Kamper, der über Ziegler promoviert hat, legt seine Begegnung mit dessen Werk offen und stellt sie in den Rahmen seiner eigenen intellektuellen Entwicklung und akademischen Karriere, um an sie gesellschaftliche Diagnosen zu knüpfen. Die damit aufgeworfenen Fragen exemplifizieren nicht nur heutige Zugänge zu Ziegler, sondern konfrontieren auch mit dessen Betrachtungen zu Schöpfung und Erlösung, Bild und Abbild, Mensch und Welt. Diese leiten schließlich zum Thema „Opfer und Selbstopfer“ über, wie es Ziegler in den sieben Artikeln vom Kreuz in denkerisch-dichterischer Form formuliert hat.
Mit einem Stück „europäischen Kulturtransfer“ beschäftigt sich Matthias Korger: dem Einfluss des in Deutschland wenig bekannten Metaphysikers René Guénon (1886-1951) auf Ziegler. Im Zentrum von dessen Werk, das der „Integralen Tradition“ zuzurechnen ist, stehen Arbeiten zu Symbolik, Tradition, Initiation und Spiritualität. Einbezogen in die Darstellung ist André Préau (1893-1976), der den Kontakt zwischen beiden herstellte und Ziegler mittels Artikeln, Rezensionen sowie einer Auswahlübersetzung in Frankreich bekannt zu machen suchte.
Max Lorenzen, auch er ehemaliger Stipendiat und außerdem Beirat der Leopold-Ziegler-Stiftung, macht den Prozess der Umstrukturierung der Gesellschaft zu seinem Thema. Ausgehend von Positionen Ernst Jüngers, Johan Huizingas und vor allem Arnold Gehlens, charakterisiert er Zieglers Auffassung von der modernen Massengesellschaft, deren Spezifikum er in einer grundlegenden Veränderung des Verhältnisses der Durchdringung ihrer kollektiven und individuierenden Kräfte erkennt.
Von besonderer Aktualität erscheint der Beitrag „Meine Buddhistischen Nachbarn“ von Ernst Benz, einem engen Vertrauten und intimen Kenner Zieglers, auf den der Begriff Wahlsohn kaum anzuwenden ist. War Benz doch viel zu eigen-ständig und zu eigen-sinnig, als dass er sich, bei aller „Verehrung“ Zieglers, in ein einfaches Schüler-Verhältnis rücken ließe. Vom Gedanken einer „Ökumene der Weltreligionen“ gleichermaßen fasziniert und beseelt wie Ziegler, war es vielmehr ein schöner und höchst stimmiger Zufall, dass Benz in nächster Nachbarschaft zu Ziegler, und mehr noch zu Fritz Mauthner, lebte. Wenn er diesen auch nicht mehr selbst kannte – Mauthner starb bereits 1923 – so war dessen Denken doch ebenfalls von erheblichem Einfluss auf den stets unorthodoxen evangelischen Theologen, den östliche Spiritualität ebenso faszinierte wie seine beiden „buddhistischen Nachbarn“. So hat sich Benz am Ende selbst in die Gemeinschaft seiner Nachbarn als ein Dritter eingeschrieben – damit ein Triumvirat vervollständigend, das „unter der Obhut des Säntis“ dieselben Fragen der weltanschaulichen, religiösen und menschheitlichen Fragen und Hoffnungen bewegt hat.
Die für diesen Band zusammengetragenen Aufsätze und Essays möchten Anstöße geben zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit dem Werk Leopold Zieglers. Dabei wird man im Auge behalten müssen, was Gerd-Klaus Kaltenbrunner schon vor dreißig Jahren in einer Würdigung Zieglers festgehalten hat. Sein Denken, so schrieb er damals in der „Süddeutschen Zeitung“, lasse sich nicht eigentlich widerlegen, sondern nur meditativ nachzuvollziehen – oder ignorieren. Und er fuhr fort: „Insofern hat Zieglers Philosophie etwas gemeinsam mit großer Dichtung, und dem aufklärerisch-positivistischen Vorwurf, sie sei ‘Gedankendichtung’ oder eine esoterische Alchemie der Begriffe, bietet sie sich vielleicht schutzloser dar als jeder andere metaphysische Entwurf der neuen Zeit. Möglicherweise hätte Ziegler diesen Vorwurf nicht einmal von sich gewiesen, sondern nur darauf beharrt, dass Begriffsdichtungen von der Art der seinen zu den unentbehrlichen Elementen jeder höheren Kultur gehören.“
Paulus Wall